Domenico Starnone, Auf immer verbunden

Domenico Starnone, Auf immer verbunden

„Fall du’s vergessen haben solltest, mein Lieber, muss ich dich eben daran erinnern: Ich bin deine Frau. Ich weiß, du warst einmal froh darüber, aber jetzt stört es dich plötzlich.“

Vorab: Der Roman Starnones gibt m.E. keine offensichtliche Antwort auf die Cover-Frage: „Was ist wichtig im Leben, was hält Paare wirklich zusammen, auch wenn die Liebe schon längst vergangen ist?“

„Schonungslos ehrlich“ dagegen ist dieser Roman schon. Aus den Perspektive aller Familienmitglieder wird die 1962 geschlossene Ehe zwischen Vanda und Aldo beleuchtet, die zwei Kinder haben, Sandro und Anna, und den Kater Labas.

Zunächst erfährt man aus Briefen Vandas an Aldo, geschrieben, als er sie wegen Lidia verlassen hat, was dieses Verlassensein mit ihr gemacht hat. Es sind Briefe voller Wut und Vorwürfe an Aldo, den sie vollumfänglich für ihren Gemütszustand, ihre Ängste und die Situation ihrer Kinder verantwortlich macht.
„Ich warne dich, Aldo, hör auf mich so zu behandeln, ich halt das nicht mehr aus! … Indem du uns verlassen hast, hast du unser gemeinsames Leben zerstört, das Bild, das wir von uns hatten, den Menschen für den wir dich gehalten haben.“

Zunächst versucht sie, sich zu ändern, denn Aldo gibt ihr keine Erklärung für seine Entscheidung. So sucht sie – klassischerweise – die Ursache bei sich. Dann bringt sie die Kinder mit ins Spiel. Selbst für ihren Selbstmordversuch macht sie ihn verantwortlich:
„Der Selbstmordversuch, mein Lieber, ist der Beweis dafür. Du hast mich schon vor langer Zeit umgebracht, und zwar nicht in meiner Rolle als Ehefrau, sondern als Mensch in der Blüte seines Lebens, der dir absolut aufrichtig gegenübergetreten ist. … Deine Abwesenheit, dein Desinteresse sogar in dieser Extremsituation, haben mir gezeigt, dass du so oder so deiner Wege gegangen wärst, selbst wenn ich gestorben wäre.“

Das zweite Kapitel beginnt kurz vor der gemeinsamen Ferienreise Vandas und Aldos ans Meer, Jahrzehnte später. Sie leben wieder in einer gemeinsamen Wohnung und sind inzwischen ein altes, körperlich zum Teil gebrechliches Ehepaar, das man scheinbar leicht übers Ohr hauen kann. Er erlebt es zweimal, kurz hintereinander, stets sarkastisch und rechthaberisch kommentiert von Vanda.
„Ich wusste nicht genau, wie und in welchem Ausmaß ich mich verändert hatte, aber dass ich mich verändert hatte, schien mittlerweile eindeutig festzustehen.“

Aus dem Urlaub zurück, stellen sie entsetzt fest, dass ihre Wohnung vollkommen verwüstet worden ist. Eine Anzeige bei der Polizei macht deutlich, dass sich niemand darum kümmern wird. Sie mögen aufräumen und ihre Fenster vergittern.

Beim Aufräumen findet Aldo Vandas Briefe, von denen der Leser einige bereits aus dem ersten Kapitel kennt.
„Die Briefe bewahrten einen so heftigen Schmerz, dass er, wenn er entkäme, weit über mein Arbeitszimmer hinausschwappen, das Wohnzimmer überfluten, bis hinter die geschlossenen Türen vordringen und sich Vandas erneut bemächtigen würde … . Aber ich versteckte den Umschlag nicht und gab ihn auch nicht zum Müll. Wie erdrückt von etwas, das auf einmal wieder schwer auf mit lastete, setze ich mich auf den Boden. Ich zog das Gummiband ab und las nach fast vierzig Jahren noch einmal einige der vergilbten Blätter.“

Man erfährt nun Aldos Perspektive, seine Art, mit den Schwierigkeiten der Situation umzugehen bzw. einfach wegzuschauen, so wie er das schon als Kind gelernt hat:
„Von klein auf hatte ich mir angewöhnt, das Leid meiner Mutter zu ignorieren, wenn mein Vater sie quälte. Ich war so gut darin, das ich, selbst, wenn ich anwesend war, die Schreie, die Beleidigungen, die klatschenden Ohrfeigen, das Weinen … einfach ausblendete: ‚Ich bring mich um, ich stürz mich aus dem Fenster!‘ Ich lernte, meinen Eltern nicht mehr zuzuhören. … Diesen kindlichen Trick habe ich mein ganzes Leben lang angewendet, bei tausend Gelegenheiten. Schon damals kam mir das sehr gelegen, und ich griff oft darauf zurück. Ich hatte eine Leerstelle hinterlassen und machte mich selbst ganz leer. Meine Frau und meine Kinder tauchten zwar hin und wieder auf trotzdem sah und hörte ich sich nicht.“

Für beide, Vanda und Aldo, ist die Ehe offensichtlich die damals naheliegende Möglichkeit gewesen, sich aus den einengenden familiären, offensichtlich sehr autoritären Strukturen zu befreien und etwas Neues zu wagen, ohne sich allerdings darüber im Klaren zu sein, dass und welche ihrer eigenen Verhaltensstrukturen dazu beitragen, in einem, nur unmerklich anderen Gefängnis zu landen.

Aldos verheerendes Fazit: „Sowohl sie als auch ich beherrschen die Kunst der Verschwiegenheit. Aus unserer damaligen Situation haben wir beide gelernt, dass wir deutlich weniger ansprechen dürfen und mehr für uns behalten müssen. Das hat gut funktioniert.“

Ergebnis ist eine „wohlhabende, angesehene Familie“, nach außen funktionierend, allerdings mit nicht zu übersehenden Folgen für die Kinder, zu denen weder Vanda noch Aldo ein gutes Verhältnis haben. Von ihnen ist in der ehelichen Auseinandersetzung nur indirekt die Rede, so als seinen sie nur am Rande davon betroffen gewesen:
„Weder er noch sie unterbreiten mir ihre zuweilen absurden Anliegen, weil sie wissen, dass ihre Mutter in jeder Hinsicht das Kommando hat. Sie haben erlebt, wie ich quasi stumm, gleich einem harmlosen Gespenst, durch die Wohnung huschte, so gut wir stumm. Und haben nicht einmal unrecht damit. Mein Leben hat sich überwiegend außerhalb der Familie abgespielt.“

Die Perspektive der Kinder wird dann in dem letzten Kapitel deutlich. Sie haben anhaltend unter den Auseinandersetzungen der Eltern gelitten und mehr mitbekommen, als die schwer mit sich selbst beschäftigen Eltern sehen konnten der wollten:
„‚Sie haben sich voreinander versteckt … aber nicht, ohne sich zu drohen, den anderen jederzeit zu enttarnen.'“

Sie sind mit der Zeit hinter Geheimnisse gekommen, die die Eltern voreinander verstecken konnten und haben geschwiegen. Noch im Erwachsenenalter fühlen sie sich als ohnmächtige Opfer dieser Eltern:
„Unsere Eltern haben uns kaputt gemacht. Sie haben sich in unseren Köpfen eingenistet, und egal was wir sagen oder tun: Wir werden ihnen auch weiterhin gehorchen.“
Was auch als Erklärung dafür hinhalten muss, weshalb sie – zumindest in finanzieller Hinsicht – im Leben nahezu gescheitert sind. Als Geschwister stets uneinig, hegen sie jetzt Rachepläne.

Der Roman seziert die sogenannte „Versorgungsehe“, in der Bilder von Wirklichkeiten vorherrschen, die mit der Realität des Lebens, der des anderen wenig zu tun haben, in der Erwachsene Erwachsensein spielen, ohne für ihr Leben wirklich Verantwortung zu übernehmen, sondern dafür sorgen, dass sich alle Beteiligten dem meist unausgesprochenen Bild der Familie anpassen.

Es ist ein düsteres Bild, dennoch unterhaltsam in dem Sinne, dass es interessant ist, zu erkennen, was entsteht, wenn Menschen nicht miteinander reden, sondern in ihren Bildern und Mutmaßungen voneinander stecken bleiben und dann noch das Fazit ziehen: Besser nicht ehrlich miteinander reden, es könnte verletzten! Doch welches Ausmaß Verletzungen annehmen können, wenn man nicht ehrlich kommuniziert, das macht der Roman auf leicht nachvollziehbare und berührenden Art und Weise deutlich. Der Romantitel bekommt übrigens nach der Lektüre eine völlig andere, tiefsinnige Bedeutung! Lesenswert!

Domenico Starnone, Auf immer verbunden, Roman a.d. Italienischen v. Christiane Burkhardt, DVA München 2018, 171 S., ISBN 978-3-421-04807-3

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