Jenny Offill, Amt für Mutmaßungen

Jenny Offill, Amt für Mutmaßungen

Der Roman hat mich thematisch an „Szenen einer Ehe“ erinnert und ist doch ganz anders.

„Amt für Mutmaßungen“ ist assoziativ, mosaikartig, fast im Stil eines persönlichen Tagebuchs geschrieben, in dem man vieles unkoordiniert festhält: Zitate, Gedichte, Lieder, eigene Gedankensplitter und Fragen, die einem durch den Kopf rasen, Zeitungsausschnitte, Aphorismen bekannter Philosophen, Schriftsteller oder auch Wissenschaftler. Auf diese Weise erhält der Leser aus der Perspektive der Frau, die mal als Ich-Erzählerin auftritt, mal stärker distanziert als personaler Erzähler, Einblick in die Ehe von „der Frau“ und „dem Mann“ und „der gemeinsamen Tochter“.

Uns so fing alles, fängt auch der Roman, an:
„Antilopen sehen zehnmal besser als wir, sagtest du. Das war der Anfang, oder beinahe. Es bedeutet, dass sie in einer sternklaren Nacht die Ringe des Saturn sehen können.

Es sollte noch Monate dauern, bis wir einander alles erzählten. Und selbst dann schien manches so geringfügig, dass es die Mühe nicht lohnte. Warum tauchen diese Geschichten nun aus meiner Erinnerung auf? Nun, da ich es alles so leid bin.“

Der Traum, „Kunstergomanin“ zu werden, ist im Alltag untergegangen. Statt einen neuen Roman zu schreiben, ist sie als Ghostwrighterin eines „Möchtegernastronauten“ beschäftigt, um den Lebensunterhalt zu verdienen, oder sitzt stundenlang mit der Tochter in der Notaufnahme eines Krankenhauses. Denn: „Schmuckperle in der Nase ist gleich niedrigste Notfallstufe.“

Früher haben sich die Frau und der Mann „einander Briefe geschickt. Die Adresse war immer die gleiche: Amt für Mutmaßungen.“

Die Briefe gibt es noch, das Briefeschreiben nicht mehr. Statt dessen spielen die beiden in dem „Kleinen Theater verletzter Gefühle“ ihre Rollen, in der mal sie eine Nacht im Hotel verbringt, mal er sagt, „er würde es gerne mit einer Trennungszeit versuchen.“

Ja, und als Zuschauer gibt es da noch die wohlmeinenden Freundinnen, den verständnisvollen Philosophen mit ihren unterschiedlichen Ansichten, je nachdem ob sie verheiratet sind oder Single, und die Psychologin der Frau , die da meint: „‚Sie können sich genauso gut gleich scheiden lassen.'“

Ja und hier ende ich, denn selbst lesen ist interessanter. Und die Spannung will ich zukünftigen Lesern nicht nehmen. Ein erfrischend unkonvetionell geschriebenes, sehr lesenswertes Buch.

Jenny Offill, Amt für Mutmaßungen, a.d. Englischen von Melanie Walz, DVA München 2014, 161 S., ISBN 978-3-421-04622-2

2 Gedanken zu „Jenny Offill, Amt für Mutmaßungen

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