Linda Benedikt, Eine kurze Geschichte vom Sterben
Es ist tatsächlich eine kurze, in sieben Kapitel gegliederte Geschichte vom Sterben der eigenen, erst zweiundfünfzig Jahre alten Mutter, erzählt von der jüngeren Tochter, die eigentlich in London lebt. Es ist ein Countdown an Lebenstagen: sieben, sechs, fünf, vier, drei, zwei, eins.
Ort des Geschehens: „Ein Zimmer, das nun bis an dein Ende auch das meine sein würde. Ein temporäres Daheim, aus dem mich nur dein Tod befreien würde.“
Die Handlung erschöpft sich in den wenigen noch möglichen Handreichungen der Tochter für ihre Mutter beim täglichen Waschen, Essen und Trinken, dem Spritzengeben der Schwestern und einem Arztgespräch über die Lebensausichten der Mutter. „Und dann muss ich kurz darüber nachdenken, wie viel du von deinem Zustand eigentlich mitbekommst. … Gibt es in dir noch irgendetwas, was nicht nur aus Schmerzen besteht?“
Was dann noch bleibt sind
– Erinnerungen
„Nurmehr Fetzen fliegen durch die Luft. Erinnerungsteile unseres gemeinsamen Lebens.“
– der Kampf der Tochter gegen die Zeit
„Wenn ich könnte, würde ich jemanden fürs Uhrvorstellen bezahlen.“
– ihre eigenen Gedanken, Gefühle und Ängste im Angesicht des Sterbens.
Gespräche sind kaum, die letzten Tage gar nicht mehr möglich. Aber Berührungen und Nähe, die beide zulassen und aushalten können.
„Ich bin ganz klein, ein kleines Mädchen, das ganz selbstverständlich die Bettdecke seiner Mutter anhebt und zu ihr kriecht. … Dreist und in kindlicher Eigennützlichkeit lasse ich mich von dir ein letztes Mal trösten. Weil du diesen sinnlosen Tod sterben wirst und mich alleine lässt. Und plötzlich tut es nicht mehr so weh. Der Tod der Mutter ist erträglicher, wenn sie einen dabei in die Arme schließt.“
Es ist ein anrührender Abschied, wütend, zornig und zärtlich zugleich.
Linda Benedikt, Eine kurze Geschichte vom Sterben, Erzählung, 128 S., ISBN 978-3-7160-2704-2