Nadeem Aslam, Die goldene Legende
Es gibt Romane, die sind spannender als so mancher Krimi. „Die goldene Legende“ von Nedeem Aslam, einem in London lebenden Schriftsteller, der mit 14 Jahren sein Land Pakistan verlassen musste, weil sein Vater zum Widerstand gegen das Zia-Regime gehörte, ist für mich ein solcher Roman.
Anhand dreier Einzelschicksale der Architektin Nargis, die als aufgeklärte Muslima lebt, der Christin Helen und dem Muslim Imran macht der Autor die Auswirkungen der blutigen Unruhen zwischen Muslimen und Christen in der pakistanischen Stadt Zamana deutlich.
Religiöse Vorschriften – oder sollte man eher sagen religiös motivierte Vorurteile – beherrschen die Stadt bis weit in den Alltag hinein. So müssen Christen aus eigenen Tassen oder Gläsern trinken, weil sie nicht dieselben Gefäßen benutzen dürfen wie muslimische Pakistanis. Sittenwächter verkünden angebliche Verfehlungen – ein anerkannter Beweis ist dafür nicht notwendig – einzelner Bürger über die Lautsprecher der Minarette und geben die Betroffenen damit mehr oder weniger einer Lychjustiz anheim. Macht- und geldgierige Besitzer ganzer Stadt-Viertel brauchen keinen Vorwand, um Christen zu verfolgen und umzubringen, wenn sie ihren Geschäften im Wege stehen. Selbstverständlich wird das Ganze bemäntelt.
Nargis, Helen und Imran sind aus verschiedenen Gründen auf der Flucht vor Geheimdienst und Polizei. Nicht weil sie selbst gegen das Gesetz verstoßen hätten, sondern weil sie wegen ihrer Verwandten verfolgt werden. Nargis Mann Massud ist auf offener Straße von einem Amerikaner erschossen worden. Von ihr verlangt der Geheimdienst nun, sie solle dem Mörder ihres Mannes öffentlich verzeihen.
Helens Vater Lily wird gesucht, weil er ein Liebesverhältnis mit einer verwitweten Muslima hat, deren Bruder ihr den Kontakt mit Männern insgesamt verboten hat. Ihm droht seine Ermordung und man versucht nun, über Helen an ihn heranzukommen.
Imram ist auf der Flucht, da er sich von den Islamisten getrennt hat, als ihm klar geworden ist, dass er sein Ziel – die Freiheit seiner Heimat Kaschmir – mit ihnen nicht wird erreichen können.
Die drei treffen auf ihrer Flucht aufeinander und versuchen, gemeinsam zu überleben. Dabei entsteht – unabhängig von ihrer Religion – Nähe und Verständnis. Nach anfänglichem Misstrauen bemerken sie schnell, wie sehr sie aufeinander angewiesen sind, wenn sie übeleben wollen, denn Geheimdienst und Polizei kommen ihnen immer näher. Hausdurchsuchungen bzw. Hausverwüstungen haben sie auf ihre Spur gebracht.
Das Bedrückende dieses Romans ist, dass einem beim Lesen – trotz des expliziten Hinweises des Autors in seiner Danksagung, das Buch sei „ein Werk der Fiktion“ – klar wird, dass es sich genauso hätte ereignen können und jederzeit so oder ähnlich ereignet. Die Kenntnis der vielen religiös motivierten Attentate in den vergangenen Jahren in der ganzen Welt kann man einfach nicht außen vor lassen.
Die Botschaft des Romans ist eindeutig: Nur Offenheit, Vorurteilsfreiheit, die Möglichkeit mitmenschliche Kontakte über alle Religionszugehörigkeiten hinweg machen menschliches Leben und ein Miteinander möglich. Dennoch gibt es keinen erhobenen pädagogischen Zeigefinger. Nadeem Aslam erzählt „einfach“ die Geschichte dieser drei Menschen, deren Potential, sich zu entfalten und ihre Werte in die Welt zu bringen, durch die politische Situation nahezu zunichte gemacht wird – zumindest im öffentlichen Raum.
Das Glossar am Ende des Romans ist leider nur bedingt hilfreich. Denn viele unbekannte Begriffe tauchen dort nicht auf, so dass man immer wieder erfolglos sucht. Schade, mindert aber den Roman als solchen nicht.
Nadeem Aslam, Die goldene Legende, Roman, a.d.Engl. v. Bernhard Robben, Deutsche Verlags-Anstalt, München 2017,412 S., ISBN 978-3-421-04755-7