Peter Noll, Diktate über Sterben und Tod
Peter Noll, Züricher Strafrechtsprofessor, erfährt, dass er Krebs im fortgeschrittenen Stadium hat und beschließt, sich nicht operieren zu lassen. Er will nicht als Patient sterben, sondern frei und bewusst seinem Tod entgegenleben. Er bringt damit seine Ärzte in Schwierigkeiten. Was sollen sie mit einem Patienten anfangen, der sich nicht behandeln lassen, sich also nicht als Patient in ihre Obhut begeben will?
„Christoph … kämpft um mein Leben, das ist sein Beruf; zugleich gegen mich, das ist wahrscheinlich schwieriger.“
Ist es Stolz, Hochmut, was Peter Noll veranlasst, sich so zu entscheiden?
Auf jeden Fall begreift Noll es als eine Chance, den Tod auf sich zukommen zu sehen:
„Erstens muss man keine Rücksichten mehr nehmen; mehr als das Leben kann dir niemand nehmen. Zweitens kann man alles vorbereiten und abschliessen.“
Er beginnt also abzuschließen, was abzuschließen ist, und plant darüber hinaus seine Beerdigung(sfeier). Von Max Frisch, mit dem er befreundet ist, erhält er das Versprechen, dass er seine Totenrede hält. Noll ist der Ansicht, Pfarrer dürften keine „Bestattungsbeamte sein, die die Realität des Sterbens und des Todes verdrängen. … Der Pfarrer müsste dem Publikum klarmachen, dass jeder der nächste sein kann, der drankommt, dass alle drankommen, dass es gut ist, sich darauf einzurichten, und dass es dann vielleicht ganz leicht werden kann.“
Doch wer will sich schon bewusst machen, dass wir „mit dem Tode leben“ und daher auch „im Leben an ihn denken sollten“?
Auf seiner „Suche nach Sinn“ macht sich Noll Gedanken über Ewigkeitsvorstellungen, über Sinnoasen des Daseins. Er reflektiert über Macht, Gerechtigkeit, damals aktuelle politische Gegebenheiten, über gesellschaftliche Hierarchien und über Rechtssprechung:
„Das Recht ist biegsam – oder sollte man sagen: beugsam? Stets kann man mit formalen Argumenten inhaltliche überfahren, mit inhaltlichen formale.“
Seine Beeinträchtigungen durch die Krankheit lässt er nicht aus, versucht, damit zu leben und fragt sich, wie lange man Schmerzen beseitigen kann, ohne das Bewusstsein zu beeinträchtigen. Später ist er froh, eine OP abgelehnt zu haben, da die Ärzte Metastasen finden, die bereits vor der ersten Diagnose dagewesen sein müssen.
Das klar formulierte, mit Humor und einer Prise Sarkasmus gewürzte Buch weist viele Möglichkeiten auf, über eigene Sinnfragen nachzudenken und sich klar zu machen: Mehr als das Leben kann ich nicht verlieren.
Es endet mit Aufzeichnungen seiner Tochter, da Peter Noll dann irgendwann doch nicht mehr in der Lage ist zu diktieren: “ ‚Mitte September fängt das Sterben wirklich an, vom Intellekt nicht mehr zu verarbeiten.‘ “ Ganz leicht war sein Sterben dann wohl doch nicht.
Peter Noll, Diktate über Sterben und Tod, Mit der Totenrede von Max Frisch, München 2009, ISBN 978-3-492-25723-7