
Tine Høeg, Tour de Chambre

Die 33-jährige Asta ist – wie die Autorin Tine Høeg – Schriftstellerin und schreibt an ihrem zweiten Roman – auch für Tine Høeg ist es nach „Neue Reisende“ der zweite Roman -, als sie die Einladung zu Augusts Gedenkfeier bekommt, der vor 10 Jahren ganz plötzlich verstorben ist. Er war der Freund ihrer Freundin Mai und wie sie selbst auch an Literatur interessiert. Sie haben alle zusammen eine Zeit lang mit noch weiteren Kommilitonen in einem Studentenwohnheim auf der gleichen Etage gewohnt, gelebt, gefeiert, geflirtet und nach dem Sinn ihres Lebens gesucht.
Die Einladung zu dieser Gedenkfeier lässt bei Asta immer wieder Erinnerungen an damals „hochploppen“, die sich in ihre momentane Lebenssituation einmischen, in der sie auf der einen Seite gern allein lebt, die Einsamkeit und Stille auch braucht, um schreiben zu können, aber andererseits auch aktiv nach einem Partner sucht, mit dem sie sich ihren Kinderwunsch erfüllen kann. Gegenwart und Vergangenheit vermischen sich so sehr, dass sie sich oft gar nicht (sofort) auseinanderhalten lassen. Gedanklich springt Astra hin und her. Die Leser:innen können dann ermitteln, wo sich die Ich-Erzählerin gedanklich gerade befindet.
Schreibstil und Satzbau entsprechen ihrer Art zu erzählen. Mal erzählt die Ich-Erzählerin einigermaßen linear. Dann wiederum folgt eine Assoziation der nächsten, die unterschiedlichen Orten und Zeiten zugeordnet werden müssen. Ein „Ich“ neben dem nächsten spricht, doch sie sind nicht identisch. Wörtliche Rede ist nicht gekennzeichnet, eine Interpunktion ist in hohem Maße nicht vorhanden. Manchmal sind Satzenden gekennzeichnet, dann wiederum nicht, mal wie gewohnt mit Punkten, dann beenden Kommata den Satz.
Eingefügt sind SMS, die mit einem dunkleren Balken unterlegt, also als solche zu erkennen sind. Der Absender aber ist nicht immer sofort erkennbar und zuzuordnen, das dürfen die Lerser:innen herausfinden.
Der Roman enthält viele Leerzeilen, manchmal auch nur einen Satz auf einer Seite, so wie er erste Satz des Romans:
Ich bekomme eine Einladung zu einer Gedenkfeier am
29. Juni im Blomsten.
Der Rest der Seite ist leer. Weiter geht es mit der folgenden SMS auf der nächsten Seite:
heute morgen oder heute Morgen?
sorry, ich weiß ja du schreibst
ich stör nicht mehr
Mehr steht dort nicht. Auf der nächsten Seite liest man:
wann kommst du uns wieder besuchen?
Bertram vermisst dich
Wer das Ich der SMS, wer Bertram ist, weiß man bis dahin noch nicht.
Ja, die leeren Flächen erzählen. sind natürlich Teil des Romans. Was genau bleibt dann der Fantasie des Lesers überlassen.
Offensichtlich gehen viele Leser:innen mit diesem Roman in Resonanz, wie man dem Text des bunt gestalteten Covers entnehmen kann. Dort liest man, dass der Roman Nr. 1 Bestseller aus Dänemark ist. Michael Solgaard der dänischen Zeitung Børsen ist sogar süchtig nach diesem Werk geworden. Ich eher nicht, aber die Lese-Vorlieben sind ja auch verschieden. Und das ist gut so, sonst wäre die Welt nicht so bunt wie das leuchtende Buchcover.
Tine Høeg, Tour de Chambre, Roman, a.d. Dänischen v. Gerd Weinreich, Literaturverlag Droschl, Graz-Wien 2022, 298 S., ISBN 987-3-99059-118-5
6 Gedanken zu „Tine Høeg, Tour de Chambre“
Eine spannende Buchbesprechung eines wohl ziemlich eigenwilligen Romans ist das. Das könnte vielleicht eine neue Leseerfahrung werden.
Danke für den Tipp und lieben Gruss ins Wochenende,
Brigitte
Neu – mit Sicherheit ;)
Schicke dir lichte Sonnengrüße ;)
Das Buch ist so gut beschrieben, dass ich mich getraue, festzustellen, dass es kein Buch für mich wäre.
Dennoch spannend, hier zu lesen, was es so Neues auf dem Büchermarkt gibt – auch in Hinsicht auf „Stile“, in denen sich Autoren versuchen. Diesbezüglich bin ich wohl altmodisch ;-)
Liebe Grüße – zu einer Jahreszeit, die tatsächlich ganz besonders zum Lesen einlädt.
Ich denke auch manchmal, dass ich für bestimmte Bücher zu alt bin.
Doch mich interessieren ja auch manche Gespräche (am Nebentisch oder auch sonstwo) nicht wirklich, die sich um solche Banalitäten drehen, dass ich wahrscheinlich nicht einmal darüber sprechen, geschweige denn darüber schreiben würde. Und dennoch bilden sie Realitäten ab ;)
Herzliche Grüße
Wie C.Stern sagt, ist das auch für mich keine Wunschlektüre. Lese grad in einem Buch mit ebenfalls schön farbigem Einband und teilweise sehr schrägen Geschichten – von einer wünschte ich, sie nicht vor dem Einschlafen gelesen zu haben…Das Buch heißt „Hotel Seattle“.
Danke für deine sehr nützlichen Besprechungen mal wieder!
Gruß von Sonja
Immer wieder gern. Ich bin schon neugierig auf Neues, aber nicht alles Neue, Ungewöhnliche gefällt mir, muss ja auch nicht ;)