Voltaire, Candide oder Der Optimismus
Dieser philosophische Kurzroman in Taschenbuchformat gelangte als Weihnachtsgeschenk meines Philosophie studierenden Sohnes in meinen Besitz. Zunächst habe ich gedacht: Oh, je!
Da ich aber bereits aus Erfahrung weiß, dass er ein „Händchen“ für ungewöhnliche, aber doch zu mir passende Geschenke hat, wie diesen Blog als Geburtstagsgeschenk, war ich gespannt, was mich erwartete.
Meine Skepis war unnötig: Amüsante Kurzweil für einige Stunden.
Candide, der naive und harmlose Protagonist dieses Romans, wächst auf einem westfälischen Schloss auf. Schon die Beschreibung des Schlosses und seiner Bewohner ist ironisch und amüsant : „Die Frau Baronin wog an die dreihunderfünfzig Pfund und erfreute sich infolgedessen eines beträchtlichen Ansehens, das sie durch die Würde, mit der sie das Haus repräsentierte noch zu steigern wusste.“ Außer ihr gibt es noch ihren Mann, Baron Freiherr von Thunder ten Tronck,Tochter Kunigunde,den jungen Baron und den Hauslehrer Pangloß (=Allredner). Von ihm lernt Candide, dass es erwiesen ist, dass „die Dinge nicht anders sein können als sie sind, denn da alles zu einem bestimmten Zweck erschaffen worden ist, muß es notwendigerweise zum besten dienen. Bekanntlich sind die Nasen zum Brillentragen da – folglich haben wir auch Brillen; … die Steine sind dazu da , um behauen und zum Bau von Schlössern verwendet zu werden, und infolgedessen hat unser gnädiger Herr ein wunderschönes Schloß. Der vonehmste Baron muß eben auch das schönste Schloß haben. … Also ist es eine Dummheit zu behaupten, alles auf dieser Welt sei gut eingerichtet; man muß vielmehr sagen: alles ist aufs beste bestellt.‘ Candide hörte aufmerksam zu und glaubte in seiner Unschuld alles.“
Als Candide Kunigunde küsst, wird er umgehend „aus dem iridischen Paradies“ vertrieben und irrt ziellos herum. Die sich daran anschließenden Abenteuer sind so unwahrscheinlich, dass man sich ob der Fantasie des Autors die Augen reibt: alle Grundübel der Menschheit widerfahren Candide: Naturkatasprophen, Krankheiten, Intrigen, Verrat, Raubüberfälle und fast immer haben Geistliche aller Couleur ihre intriganten Finger im Spiel.
Als er Kundigunde wiedertrifft, wird er ihretwegen sogar zum Mörder und tötet insgesamt drei Personen, die dann – am Ende des Romans, nach langer Flucht über verschiedene Kontinente – oh Wunder! lebendig vor ihm stehen, um ihm dann erneut zuzusetzen, statt dankbar zu sein – auch wenn Candide sie als Sklaven befreit hat.
Zwischendurch gerät er dann mit einem Gefährten – auf wundersame Art und Weise – wirklich ins Paradies, nach Eldorado: ein Land derart unzugänglich, dass kein Mensch dorthin gerät, aber auch niemand von dort wieder weggeht. Die Untertanten haben dem König geschworen, dies Land nicht mehr zu verlassen, ein Land, in dem es weder einen Justizpalast, noch Gefängnisse gibt, Reichtum für alle in Hülle und Fülle, kurzum, ein Land, in dem Milch und Honig fließen – nur ohne Kunigunde.
Und deshalb will Candide es wieder verlassen, um Kundigunde zu finden – der einzige Beweggrund für seine diversen Reisen.
Manchmal beginnen in Candide leise Zweifel zu nagen, ob die Welt wirklich die beste aller Welten ist: „Optimismus… ist der Wahnsinn, zu behaupten, daß alles gut sei, auch wenn es einem schlecht geht.“
Es gibt eine Art „Happy end“. Candide trifft Kundigunde wieder- aber in welchem Zustand! „Als jedoch der zärtliche Liebhaber Candide seine schöne Kunigunde braungebrannt, mit geröteten Augen, eingefallenem Busen, runzligen Wangen und roten, aufgesprungenen Händen wiedersah, wich er vor Entsetzen einige Schritte zurück, faßte sich aber als wohlerzogener Mann sofort wieder und ging auf sie zu.“
Doch ihr Bruder weigert sich, sie ihm zur Frau zu geben:“ ‚Nein, meine Schwester wird nur einen deutschen Reichsbaron heiraten!‘ “ – ein absolut unerreichbarer Wunsch, denn Kunigunde ist von Candide als Sklavin freigekauft worden, nachdem sie von allen möglichen Männern missbraucht worden ist.
Dass dieses Buch nach dem Erscheinen 1759 in Genf öffentlich verbrannt worden und vom Vatikan auf den Index gesetzt wurde, wundert einen nicht. –
Es ist auf süffisant ironische Weise eine Abrechnung mit Menschen, die nicht gelernt haben, den eigenen Verstand zu gebrauchen, die Doktrinen jedweder Art ungefragt akzepieren:“ ‚Nun mein lieber Pangloß‘, sagte Candide zu ihm, ‚als Sie gehängt, seziert, geschlagen wurden und auf der Galeere rudern mußten, haben Sie da immer noch geglaubt, daß alles in der Welt aufs beste eingerichtet ist?‘ – ‚Ja, ich bin immer noch derselben Meinung … denn schließlich bin ich Philosoph, und es ist mir daher unmöglich, meine Worte zu widerrufen, …“
„Ein phantastischen Lehrstück über die Grausamkeit der Welt und die einfachen Wege zum Glück“ – so der Kommentar des Klappentextes.
Voltaire, Candide oder Der Optimismus, München 3. Auflage 2006, 176 S. ISBN 3-423-34252-8