Juli Zeh, Leere Herzen

Juli Zeh, Leere Herzen

„Leere Herzen“ ist nach „UNTERLEUTEN“, der aktuelle Roman Juli Zehs.

Der Roman spielt in der Nähe von Braunschweig in den zwanziger Jahren des 21. Jahrhunderts, also in der Zukunft Deutschlands, in der es mit der Demokratie nicht zum Besten steht, da „demokratieverdrossene Nicht-Wähler Wahlen gewinnen, während engagierte Demokraten mit dem Wählen aufhören“, es kaum noch Zeitungen gibt und wenig Menschen, die sich (politisch) noch für irgendetwas engagieren. Angela Merkel ist – nach erzwungenen Neuwahlen – zurückgetreten:

„Der Augenblick, als Angela nach offizieller Verkündung des Wahlergebnisses vor die Kamera trat und die Verantwortung für das starke Ergebnis der BBB übernahm. Sie formte die Hände zur Raute und erklärte in ihrer unterkühlten, leicht lispelnden Art, dass sie im heutigen Wahlergebnis nicht nur eine Katastrophe für Deutschland, sondern das Scheitern ihrer persönlichen Laufbahn sehe. Unter den Buh-Rufen einiger anwesender Journalisten brach die selbstbeherrschte Fassade der Ex-Kanzlerin schließlich zusammen. Eine Träne lief ihr über das Gesicht, während sie, die Zwischenrufe übertönend, ins Mikrofon rief: ‚Ich wünsche unserem Land, ich wünsche uns allen Glück!‘ Dann verließ sie das Podium, die Schultern hochgezogen, und wirkte dabei plötzlich wie eine alte Frau.“

In dieser gesellschaftlichen Situation, „in völliger Übereinstimmung mit dem Zeitgeist“ leitet Britta mit ihrem Kollegen Baba, unterstützt von Lassie, ihrem Computer, die Brücke, eine „Heilpraxis für Selbstmordprävention“. An ihre Praxis wenden sich Menschen mit Selbstmordabsichten, die sich einem ausgeklügelten Prüfsystem unterziehen müssen, mit dem sichergestellt werden soll, ob die Suizidgedanken wirklich ernst gemeint sind. Waterboarding ist da nur ein Test, den die Kandidaten bestehen müssen. Durchlaufen sie die Tests erfolgreich, werden sie gegen hohe Geldprovisionen an Organisationen vermittelt, die sie für ihre Ziele als Selbstmordattentäter einsetzten, so dass für sie ihr Selbstmord letztendlich noch Sinn macht:
„Als erster und einziger Terrordienstleister der Republik hat die Brücke die Branche befriedet und stabilisiert. Sie sorgt für das richtige Maß an Bedrohungsgefühlen, das jede Gesellschaft braucht. Und sie hat Babak und Britta ziemlich reich gemacht.“

„Britta liebt ihre Arbeit. Sie hat viel mit Menschen zu tun, lebt selbstbestimmt und tut eine Menge Gutes. Die Rettung von potenziellen Selbstmördern macht mit Abstand den größten Teil ihrer Tätigkeit aus.“ Denn diejenigen, die die Tests nicht bestehen, sind glücklich, dass die durch das Prüfungsverfahren ihren Sinn im Leben (wieder)gefunden haben und am Leben bleiben wollen.

Diese Dankbarkeit drücken sie Britta gegenüber mit viel Geld aus. So oder so ein gewinnbringende Geschäftsidee. Wenn da nur nicht Brittas ständige Übelkeit wäre, die sich massiv verstärkt, als in Leipzig ein Attentat passiert, ohne dass sie davon gewusst hat, es also nicht ihre Kandidaten sind, die dort eingesetzt wurden. Ab da läuft der so disziplinierten, strukturierten Britta so einiges aus dem Ruder, vor allem, als ihre Kleinfamilie in Gefahr gerät.

Britta vollführt zum Ende des Romans hin eine kaum nachzuvollziehende Wandlung von der selbständigen Geschäftsfrau hin zu einer Ehefrau und Mutter, die damit zufrieden scheint, ihre eigenen vier Wände sauber zu halten, neue Rezepte auszuprobieren und den Mann das Geld verdienen zu lassen.

Das neue Familienideal?

Es wird indirekt vieles angeprangert, etwa die Demokratieverdrossenheit, die „leeren Herzen“, sprich fehlende Ideale, für die es sich zu engagieren lohnt, und die damit einhergehende Ichbezogenheit der Menschen. Doch letztlich ist die Romanhandlung eine Art Krimi, in dem es um eine konkurrierende Bande geht, die der Brücke Schaden zufügen will.

Der Roman lässt mich gruseln angesichts dieses gesellschaftlichen Szenarios, das so undenkbar gar nicht ist, ermöglicht aber auch nicht ansatzweise eine Aussicht auf mögliche (gesellschaftliche) Veränderung. Der Rückzug ins Private scheint mir keine zu sein. Doch vielleicht ist es nicht Aufgabe eines Schriftstellers, Lösungen zu suchen, zu finden und anzubieten, sondern Sache engagierter Leser/Bürger und Politiker.

Juli Zeh, Leere Herzen, Roman, Luchterhand Verlag, München 2017, 348 S., ISBN 978-3-630-87523-1

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