Sigismund Krzyzanowski, Münchhausens Rückkehr

Sigismund Krzyzanowski, Münchhausens Rückkehr

Nur Narren war es früher gestattet, die Wahrheit am Hofe auszusprechen. Sie hatten die sprichwörtliche „Narrenfreiheit“. Vielleicht gehört auch die Figur des Adligen Hieronymus Carl Friedrich Freiherr von Münchhausen dazu, bekannt als „Lügenbaron“.

In diesem Roman lässt der russische Schriftsteller Krzyzanowski Münchhausen in den zwanziger Jahren des letzen Jahrhunderts nach Berlin zurückkehren. Sinnigerweise entsteigt diese schillernde Figur seinem eigenen Roman, in den er später dann, nach seinen Reisen, die ihn nach London und nach Russland führen, zurückkehrt. selbstverständlich nachdem er einem oft ungläubig staunenden, aber ausgewählten Publikum seine diversen Reiseerlebnisse erzählt hat:

„Und von allen Seiten – von rechts, von links, und von vorn – reckten sich Aberhunderte von Ohrmuscheln seinen Worten entgegen; selbst die Marmorbüsten von Newton und Cook, die sich aus ihren Nischen hervorbeugten, schienen dem Vortrag lauschen zu wollen. An sie richtete Baron Hieronymus von Münchhausen denn auch seine ersten Worte.
‚Während einst Kapitän Cook, der ausgezogen war, die Wilden zu entdecken, von diesen aufgefressen wurde, gerieten meine Segel unverkennbar in gnädigere Winde: Wie sie sehen, Ladies und Gentlemen, bin ich gesund und munter‘ (leichte Bewegung im Saal).“

Natürlich ist er nicht mit dem Schiff nach Russland gesegelt, sondern zunächst mit dem Zug. Weshalb er dann in seinem Vortrag vor seinem Londoner Publikum auch zu den „Fakten“ zurückkehrt:

„Als ich mich in das Land aufmachte, wo jedermann, vom Volkskommissar bis zur Köchin den Staat regiert, beschloss ich, dem russischen Zoll unter allen Umständen aus dem Wege zu gehen; nicht nur in meinem Kopf, sondern auch in meiner Jackentasche führte ich gewisse Worte mit, die nicht für eine Kontrolle bestimmt waren.“
Kurz vor der Grenze entschließt er sich dann fürs „Umsteigen: von der Schiene in die Luft“. Dann folgt eine seiner „Müchhausiaden“, die dem Ritt auf der Kanonenkugel in nichts nachsteht. Unkontrolliert und heil landet er in Russland, um dann seine diversen abenteuerlichen und abstrusen Erfahrungen zu machen.

Die Figur des Lügenbarons als Erzähler zu wählen, ermöglicht es dem Autor – wie auch in seinem Roman „Der Club der Buchstabenmörder“ – satirisch, ironisch über die schwierigen Verhältnisse in Russland zu schreiben, über das heikle Verhältnis von „Dichtung und Wahrheit“ zu sinnieren und nach Möglichkeiten zu suchen, der notleidenden Bevölkerung zu helfen.

Für seinen Vortrag erhält Freiherr von Münchhausen „langanhaltenden, donnernden Applaus der überfüllten Säle“ bekommen hat.

Neben seinem Vortag über Russland enthält der Roman auch Gespräche mit dem deutschen Schriftsteller Unding sowie die Teilnahme des Barons an der Versailler Konferenz.

Die Bedeutung bzw. die Gesetze von Zeit und Raum sind aufgehoben, so dass Münchhausen immer wieder aus der Zeit fällt, Lügen und Fakten mischt, zu Selbstzitaten greift, unwahrscheinliche Wahrnehmungen hat, die er dann geschickt als Wahrheiten präsentiert.

Der Roman ist eine intellektuelle Herausforderung. Er präsentiert nicht wirklich eine durchgehend erzählte Handlung, sondern eher episodenhafte Erlebnisse, scheinbar ohne inneren Zusammenhang. Den muss man als Leser selbst herstellen. Man wird allerdings von Thomas Grob ins seinem erhellenden, erklärenden Nachwort unterstützt, in dem er die Situation des Dichters im damaligen Russland, seine Belesenheit und gesellschaftliche Isolation beschreibt. Sehr hilfreich und ausnahmsweise eher vor der Lektüre zu lesen.

Sprachlich ist der Roman eine Fundgrube. Er kommt spielerisch und fantasiereich daher, ironisch, satirisch. Sprachspiele, Neologismen, zahlreiche Redefiguren machen das Lesen für den zum Vergnügen, der an solchen sprachliche Darbietungen seine Freude hat. Einfache Unterhaltung im Sinne der sonst üblichen Müchhausiaden ist der Roman gewiss nicht.

Sigismund Krzyzanowski, Münchhausens Rückkehr, Roman, a.d.Russischen übersetzt, mit Anmerkungen versehen von Dorothea Trotenberg, mit einem Nachwort v. Thomas Grob, Dörlemann Verlag, Zürich 2018, 239 S., ISBN 987-3-03820-059-8

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert