
Mit der Bahn von Berlin nach Recklinghausen

Das Umsteigen in Hamburg hat problemlos geklappt, der Sitzplatz ist reserviert.
Also warte ich. Die Meldung, in Osnabrück werde eine Bombe entschärft, gibt es schon länger. Eine Vorstellung, was das bedeuten kann, habe ich noch nicht, genieße im Zug die untergehende Sonne:


Unterwegs dann Hinweise, dass drei Haltestationen nicht angefahren werden, u.a. mein Halt in Recklinghausen. Diverse Alternativen werden angeboten. Ich kann zunächst im Zug bleiben.
Beim nächsten Halt dann die Durchsage, der Zug bleibe noch eine Weile im Bahnhof, weil auf einen neuen Zug-, Lokführer gewartet werden müsse, es warte aber ein anderer ICE, den wir nehmen könnten.
Hastiges Zusammenpacken des Gepäcks, eine Frau schnappt sich meinen Koffer und wir hasten auf überfüllten Bahnsteigen zu dem wartenden Zug. Wir passen noch rein. Und los geht’s.
Später dann wieder eine Kurskorrektur: In Hamm umsteigen in einen Zug nach Essen und von da nach Recklinghausen, bedeutet noch zweimal umsteigen oder im Zug sitzen bleiben bis Münster fahren und dann mit dem Regionalzug bis Recklinghausen.
OK. Ich entscheide mich für diese Variante. Andere Fahrgäste haben sich schon Taxen organisiert, die sie an den Haltebahnhöfen abholen und zum End-Ziel bringen sollen.
Noch bin ich zuversichtlich.
Und dann tut sich lange nichts. Der Zug steht, keine Durchsage, nichts.
Die Alternative ist längst abgefahren, ist also keine Option mehr.
Dann – endlich – eine Durchsage, man warte auf einen neuen Zug-, Lokführer – für noch eine Station(!), denn der Zug endet in Münster. Inzwischen ist klar, den Anschluss an den Regionalzug nach Recklinghausen schaffen wir nicht mehr. Der nächste Zug fährt erst zwei Stunden später: um kurz nach 2 Uhr.
Tolle Aussichten.
In Münster herrscht rege Ratlosigkeit vor:
Viele versammeln sich in der DB-Information, hell erleuchtet bei komplett geschlossenen Schaltern.
„Muss noch jemand nach Recklinghausen?“
„Ja, ich!“
Wir organisieren uns ein Taxi. Der Fahrer missachtet Geschwindigkeitsbegrenzungen, auf die ihn sein Auto permanent durch Piepen aufmerksam macht, fährt durchgehend auf der Überholspur, obwohl es da kaum jemanden zu überholen gibt. Dann meldet sich der Tankhinweis.
In Recklinghausen will er dann erst tanken, bevor er uns zum Bahnhof bringt, weil er angeblich auf dem Rückweg dort nicht mehr vorbeikommt … Geht’s noch?!
Zum Schluss zickt er noch, weil er Bargeld haben will, obschon er uns vorher gesagt hat, wir könnten auch mit Karte zahlen. Ich hätte soviel Bargeld gar nicht dabei gehabt.
Die Fahrt hat 202,00 € gekostet! Soviel habe ich nicht einmal für die Rückfahrkarte Recklinghausen-Berlin bezahlt.
Mein Mitfahrer ist so nett und bringt mich dann noch bis vor die Haustür. Seinen Namen erfahre ich erst jetzt, als wir Visitenkarten austauschen. Mein Bargeld – die Hälfte dessen, was ich als Anteil übernehme – möchte er nicht. Er vertraue mir.
Heute habe ich 101,01 € überwiesen – ich konnte es mit Humor und tiefer Dankbarkeit für das solidarische Verhalten der MitfahrerInnen im Zug und dann im Taxi tun.
Ach, und da war im Zug auch die sichtlich genervte Staatsanwältin aus dem Münsteraner Tatort, die mit der rauchigen Stimme, die zu Dreharbeiten nach Münster wollte.
Ja, wenn einer eine Reise tut …
Gestern gab’s dann von der Bahn einen Gutschein von 25,00 € – aber nur zur Verrechnung und zeitlich begrenzt. Rückerstattungspflichtig ist die DB nicht, da sie die Bombenentschärfung nicht zu verantworten hat.
Ja, das nicht, wohl aber die mangelhafte Koordination und Kommunikation. Denn die Entschärfung war schon länger bekannt.
Überlege, ob ich nicht beim nächsten Mal dann doch lieber mit dem Auto fahre.
6 Gedanken zu „Mit der Bahn von Berlin nach Recklinghausen“
Na bumm, Bahnfahren als Abenteuer mit ungewissem Ausgang … Ich kann deine abschließende Überlegung mehr als nachvollziehen …
Liebe Grüße, Andrea
Ich erwische immer wieder solche Tage, so als hätte ich ein Abo darauf, das ich definitiv nicht abgeschlossen habe ;)
Liebe Grüße
Das ist ja wirklich der reine Horror!
Da könnte einem das Reisen glatt verleiden.
Dabei hattest du ja noch Glück mit den Mitreisenden, sonst wäre es wohl zum Verzweifeln, so eine Fahrt zu erleben.
Danke für den Morgenkrimi, den du mit Bravour überstanden hast. Und erhole dich gut von den Strapazen!
Einen lieben Gruss, Brigitte
Er macht mir persönlich das Reisen mit der Bahn anstrengender als nötig, auch wenn in mir inzwischen die Zuversicht wächst, dass in schwierigen Situationen immer jemand da ist, der einem zur Seite steht bzw. dass es für alles eine Lösung gibt – wenn auch manchmal eine sehr teure ;)
Herzliche Grüße
Ich staune mit offenem Mund.
Ich will mir das gar nicht ausmalen, wenn es mir so ergangen wäre. Innere und äußere Unruhe und Genervtheit.
Bombenentschärfungsteams rücken in Ö schon in aller Regelmäßigkeit aus. Vor ein paar Monaten waren an mehreren Tagen hintereinander viele größere Bahnhöfe an der Reihe.
Schön auf jeden Fall, dass Du auf nette Mitfahrende zählen konntest.
Was für eine Reise! Ich wünsche Dir gute Erholung, liebe Grüße
Die Erholung hatte ich nötig, denn Berlin ist für mich immer anregend, inspirierend und gleichzeitig auch sehr anstrengend. Eine solche Rückreise brauche ich dann nicht wirklich, zumal der Wecker schon nach 4.5 Stunden wieder geklingelt hat.
Aber ich schaffe es noch immer, es unter neue Erfahrungen zu verbuchen ;)
Herzliche Abendgrüße