Ich bin der Regen

Ich bin der Regen, und ich geh’
barfuß einher von Land zu Land.
In meinen Haaren spielt der Wind
mit seiner schlanken, braunen Hand.
Mein dünnes Kleid aus Spinngeweb’
ist grauer als das graue Weh.
Ich bin allein. Nur hie und da
spiel’ ich mit einem kranken Reh.
Ich halte Schnüre in der Hand,
und es sind auf ihnen aufgereiht
alle die Tränen, welche je
ein blasser Mädchenmund geweint.
Sie alle habe ich geraubt
bei schlanken Mädchen, spät bei Nacht,
wenn mit der Sehnsucht Hand in Hand
sie bang auf langem Weg gewacht.
Ich bin der Regen, und ich geh’
barfuß einher von Land zu Land.
In meinen Haaren spielt der Wind
mit seiner schlanken, braunen Hand.
8.3.1941
(Selma Meerbaum-Eisinger)
6 Gedanken zu „Ich bin der Regen“
Wie traurig und schön zugleich.
Ja, man könnte weinen dabei.
Lieben Gruss,
Brigitte
Fällt im Regen nicht weiter auf.
Also: Tu dir keinen Zwang an.
Herzliche Abendgrüße
vielleicht bin ich grad auch der regen… geht man länger darin, kommts mir fast so vor. nur ein krankes reh traf ich noch nicht.
lieber gruß
Sylvia
Vielleicht gab‘s damals einfach mehr Rehe.
Vielleicht sind “Rehe“ auch nur Metapher für empfindsame, verletzliche Kreaturen.
Liebe Grüße
Sehr berührend und tiefgründig diese Zeilen von der so jung verstorbenen Selma. Schneeverwehte Abendgrüße, Paula
Sie hat so einige tiefsinnige Gedichte schreiben können
und das in so jungen Jahren, vor ihrer Ermordung.
Herzliche Morgengrüße