Alem Grabovac, Die Gemeinheit der Diebe
„Was bleibt von einem Leben, das nie gelebt wurde?
Diese Frage hatte mir Mutter mit ihren großen schönen braunen Augen vor ein paar Wochen gestellt. Wir saßen auf dem Balkon ihrer Wohnung in der Frankfurter Rothschildallee und tranken Kaffee, während das Nachmittagslicht schräg durch die sattgrünen Wipfel der Hinterhofbäume fiel. Mutter war erschöpft, wirkte abwesend und die Angst vor der Angst stand ihr ins Gesicht geschrieben.“
Dieser Frage geht Alem, der Ich-Erzähler, in diesem zweiten, stark autobiografisch geprägten Roman Alem Grabovacs nach, der als Kind einer Kroatin und eines Bosniers in Deutschland geboren wurde. Die Mutter hat ihr ganzes Leben in Fabriken geschuftet, da sie immer „an die falschen Männer geraten“ war, oft „falsche Entscheidungen getroffen und nur selten Glück“ gehabt hat, so die Einschätzung des Sohnes, der in einer deutschen Pflegefamilie aufgewachsen ist. Als „Kofferkind“ pendelt er alle zwei Wochen zwischen seiner Mutter und der Pflegefamilie hin und her.
Versuche, mit seinem Stiefvater Dušan und der Mutter in einer Wohnung leben zu können, scheitern alle an der Gewalttätigkeit des Stiefvaters ihm und der Mutter gegenüber, die aber glaubt, ohne diesen Mann nicht zurechtzukommen. Dabei ist sie es, die im Grunde für den Lebensunterhalt aller aufkommt und darüberhinaus heimlich für ihren Traum eines eigenen Hauses spart.
In der Pflegefamilie, mit einem von einer nationalsozialistischen Weltsicht geprägten Pflegevater, wird er dennoch anders gefördert als das seine Mutter je hätte für ihn leisten können. Mit deren Hilfe schafft er dann auch seine deutsche Einbürgerung, die unter den im ehemaligen Jugoslavien bestehenden politischen Auseinandersetzungen ein „Ritt durch den Dschungel diverser Botschaften“ ist. Später reist Alem durch Amerika, studiert erfolgreich in London, wird letztendlich Schriftsteller.
Seine Mutter hingegen hat lange an dem Traum festgehalten, wieder in ihre Heimat, in ein eigenes Haus zurückzukehren. Doch die politischen Entwicklungen in Jugoslawien, das es dann so aber gar nicht mehr gibt, zwingt sie, die mit ihrem Sohn in den Ferien immer nach Hause fährt, diesen Traum aufzugeben. Und als sie dann ihren wohlverdienten Ruhestand genießen könnte, stirbt ihr Partner Dušan und ihre Welt gerät emotional völlig aus den Fugen und ihr Sohn, der inzwischen mit einer eigenen Familie in Berlin lebt, fühlt sich für sie, mit der er nie wirklich zusammengelebt hat, verantwortlich.
Der Roman erzählt „ganz nah bei meinen persönlichen Erfahrungen … (und) so schlicht, unterhaltsam, spannend und so klar wie nur möglich“ vom Leben zweier Generationen, die als Gastarbeiter nach Deutschland gekommen bzw. aufgewachsen sind, zu einer Zeit, in der man sich in Deutschland kaum Gedanken darüber gemacht hat, wie mit diesen „Menschen auf Zeit“ umzugehen ist, die dann doch vielfach blieben, letztendlich keine Gäste mehr waren, sondern – leider oft schlecht wie Menschen zweiter Klasse behandelte – Bürger dieses Landes, die blieben und Familien gründeten.
Alan Grabovac erzählt seine Geschichte und die seiner Mutter „so ungeschönt wie nur möglich. Alles andere wäre mir wie ein Verrat an meinem Leben und an meinem Schreiben vorgekommen.“
Es ist ein Roman, der dieser Gastarbeitergeneration der ersten Stunde, eine Stimme gibt, ihre Geschichte erzählt und sie damit sichtbar werden lässt. Gleichzeitig ist es eine subtile Art der Anklage, wie mit diesen Menschen umgegangen worden ist und noch immer umgegangen wird, ohne dass er je den moralischen Zeigefinger erhebt. Er erzählt von dem, was war und is,t und lässt dabei auch die oft so unterdrückten Gefühle nicht außer acht.
„Und plötzlich begann ich zu weinen. Ich konnte gar nicht mehr aufhören. Der Schmerz um unser immer wieder verpasstes Leben brach einfach aus mir heraus.“ Lesenswert.
Alem Grabovac, die Gemeinheit der Diebe, Roman, hanserblau Verlag, 240 S., ISBN 978-3-446-27938-4
2 Gedanken zu „Alem Grabovac, Die Gemeinheit der Diebe“
Das denke ich auch, dass das ein lesenswerter und wichtiger Roman ist zu diesem vielfach schmerzvollen Thema, das nach wie vor so eminent aktuell bleibt…
Danke für die schöne Besprechung und lieben Morgengruss,
Brigitte
Ich habe ihn einer Nachbarin geliehen, deren Eltern aus Jugoslawien geflohen sind.
Bin mal gespannt auf ihre Rückmeldung.
Sonnige Morgengrüße – es wird ein schöner, lichter Tag werden.