Annette Hess, Deutsches Haus

Annette Hess, Deutsches Haus

Weißensee“, „Ku’damm 56“ und „Ku’damm 59“ sind bekannte Serien dieser Autorin, die mit „Deutsches Haus“ ihren ersten Roman geschrieben hat. Die Handlung spielt 1963/64 in Frankfurt zur Zeit des Auschwitz-Prozesses.

Eva arbeitet als Dolmetscherin und ist jüngste Tochter der Wirtsleute Ludwig und Edith Bruhns, die das „Deutsche Haus“ führen. Sie steht kurz vor ihrer Verlobung mit Jürgen Schoormann, dem Sohn eines wohlhabenden Versandhandelskaufmanns. Für Eva wäre das ein – von den Eltern für sie sehr ersehnter – gesellschaftlicher Aufstieg.

Dafür „schmeißen sie sich in Schale“, tischen auf, was die Küche zu bieten hat, damit die erste Begegnung mit dem Zukünftigen ihrer Tochter reibungslos von statten geht. Denn „sie hatte nicht viele Anwärter gehabt. Ihre Familie verstand es nicht, denn Eva wirkte gesund und fraulich, mit ihren vollen Lippen, der schlanken Nase und dem langen naturblonden Haar, …. Doch ihre Augen zeigten oft einen beunruhigenden Ausdruck, als rechne sie mit dem Eintreten einer Katastrophe. Eva hatte den Verdacht, dass das auf Männer abschreckend wirkte.“

Ein unerwarteter Anruf, der Eva zu einer Zeugenbefragung ruft, verändert das Leben aller Beteiligten. Eva bekommt nach dieser Zeugenbefragung die Möglichkeit, als Dolmetscherin während des Auschwitzprozesses zu arbeiten. Doch alle sind dagegen: die Eltern und auch ihr Verlobter, der hinter ihrem Rücken zur Staatsanwaltschaft geht und bewirkt, dass Eva nicht mehr weiterarbeiten kann, ein Recht das zur damaligen Zeit Verlobten und Ehemännern zustand. Doch Eva folgt ihrer Überzeugung, denn sie will wissen, was da in Auschwitz passiert ist. Nie hat sie davon vorher gehört. Sie löst die Verlobung – einzige Möglichkeit weiterzuarbeiten, mit verheerenden Folgen.

Der Roman beginnt erst recht moderat, bietet wenig Neues hinsichtlich der Thematik, doch gleichzeitig wird die gesellschaftlich und politische Atmosphäre der damaligen Zeit durch die Alltagsbeschreibungen fassbar, die unterschiedlichen Verdrängungsmechanismen dessen, was während der Zeit des Zweiten Weltkrieges passiert ist, von dem (angeblich) keiner etwas gewusst hat, am wenigsten die Angeklagten, die in Auschwitz gearbeitet bzw. reihenweise Menschen selektiert und an den Tötungen beteiligt waren. Ihre „Argumente“, ihre Verteidigungsstrategien sind haarsträubend, eigentlich noch einmal eine Demütigung und Verhöhnung der im Gerichtssaal aussagenden Zeugen, die während ihrer Aussagen die erlebten Grausamkeiten noch einmal erleben und sichtbar unter posttraumatischen Belastungsstörungen leiden, einen Begriff, den es damals noch nicht gegeben hat.

Doch auch außerhalb des Gerichtsaales sind die Abneigungen gegen Juden und alles sonst irgendwie Fremde in Gestalt von Gastarbeitern oder der Abneigung z.B. der Beatles und ihrer Musik überall greifbar. Vor allem aber werden die Konsequenzen des Verschweigens dessen, was war, exemplarisch an der Familie Bruhns sichtbar: Edith Bruhns muss als Zeugin im Prozess aussagen. Ein lesenswerter, ein wichtiger Roman.

Annette Hess, Deutsches Haus, Roman, Berlin 2020, 365 S., ISBN 978-3-548-0617-7

2 Gedanken zu „Annette Hess, Deutsches Haus

  1. Mögen viele – vor allem jüngere Menschen – sie lesen, wobei ich davon ausgehe, dass sie – zumindest in der Schule über diese furchtbare Zeit aufgeklärt worden sind.
    Herzliche Grüße

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