Elsa Koester, Im Land der Wölfe
Nach „Couscous mit Zimt“ ist Elsa Koesters neuer Roman „Im Land der Wölfe“ erschienen, der viele, vielleicht schon fast zu viele aktuelle Themen in seiner Handlung anspricht.
Da ist die Coaching Nana, die als ehemalige Antifaaktivistin in Berlin lebt, und nach Grenzlitz, einer Stadt im ländlichen Sachsen, reist oder sollte man besser sagen, flieht? Denn ihr „großer Bruder“ Noah hat sich gerade geoutet, etwas, womit Nana überhaupt noch nicht zurecht kommt, was immer wieder in dem E-mail-Verkehr zwischen den Geschwistern, erkennbar an der Kursivschrift, deutlich wird und die äußere Handlung unterbricht.
Äußerer Anlass dieser Reise ist Nanas Auftrag, Katja Stötzel in ihrem Wahlkampf zu unterstützen, die sich als Kandidatin der Zukunftsgrünen zur Wahl für das Amt des Bürgermeisters bewirbt. Von einer Wahlparty Katjas kommend trifft sie auf deren Gegenkandidaten:
„Zwei Meter Paul Witte. Plötzlich steht er vor mir, der von den Blauen. Ich habe ihn nicht kommen sehen. ... breite Schultern, blonde, abrasierte Haare, aber nicht ganz, so mit Seitenscheitel, der seinen Jungs mit bassiger Stimme zuruft: „Jungs, lass das junge Frollein mal durch mit dem Rad.“ … Es öffnet sich eine Schneise vor ihr auf dem Bürgersteig, „lauter lachende Münder, zwanzig, dreißig Blaue um mich herum, darunter Falk Schloßer, ganz sicher, ich kann es riechen, Falks Menthol.“
Das Menthol erinnert Nana sort an ihren ehemaligen Freund Tom, der als Antifaaktivist in Berlin immer wieder unterwegs war, um „Nazis zu klatschen“ und stellt für sie emotional eine Verbindung zu Falk Schloßer her, einem ehemaligen Bundeswehrsoldaten, der als Justizvollzugsbeamter arbeitet und mit einem Motorrad unterwegs ist, das ein Emblem der Wehrmacht für die Kradschützen ziert. Obwohl sie politisch aus verschiedenen Lagern kommen, gibt es eine Verständnigungsebene zwischen ihnen. Er ist eigentlich der einzige, mit dem sie sich länger unterhält, was sie in ihrer Funktion als Coachin für Katja für deren AnhängerInnen suspekt macht, und den sie in der Nacht anruft, als sie in ihrer Gerlitzer Unterkunft davon ausgehen muss, dass in der nachbarlichen Wohnung häusliche Gewalt ausgeübt wird.
Ich als Leserin stutze, wenn ich lese, wie, mit welcher Art von Begeisterung und welchem Selbstbewusstsein – oder ist es eher eine art Hybris?- Nana ihre Auftraggeberin und ihr Ziel beschreibt:
„Ich werde die neue Coachin dieser Wahnsinnsfrau dort mit den Wahnsinnshaaren, und ich werde sie zur neuen Bürgermeisterin von dieser Stadt machen. Von Grenzlitz.
… Ich wollte keine zukunftsgrüne Politikerin irgendwo in Sachsen coachen, das hat mich nicht interessiert. Es waren ihre Haare. Wenn ich ihre Haare anschaue, dann ist es so, dann kribbelt einfach alles. Wenn ich sie anschaue. Katja. Wenn ich sie anschaue, oder vielmehr sie mich, oder ich durch ihre Augen in sie hineinschaue, unter dieser schmalen Augenbraue hindurch, diesem zarten Strich von Haaren auf ihrer Wölbung, diese Schwingungen der Knochen, auf der jedes Härchen genau seinen Platz findet, oder wenn sie sich mit ihren Fingern durch diese Haare streicht, dann legen sie sich in so perfekten Wellen über den Kopf.“
Und anschließend liest man eine entsprechend enthusiastische Beschreibung von Katjas Augen. Was genau Nana nun als Coachin für ihren Job auszeichnet wird mir beim Lesen des Romans nicht wirklich klar. Sie ist eher eine junge Frau auf der Suche nach sich selbst, die ihre eigene familiäre Vergangenheit überhaupt noch nicht abgeschlossen hat, sich unverstanden fühlt, ziemlich einsam ist und sich immer noch überwiegend als Opfer versteht, so dass selbst ihr Bruder ihr einmal empfiehlt, endlich Verantwortung zu übernehmen.
Aber vielleicht geht es in diesem Roman darum ja auch eher um eine Art Gesellschaftsbild einer Stadt mit „diesen dicken, blauen, stets wachsenden Balken“, das versucht, die verschiedenen Mitglieder in ihren Anliegen, Bedürfnissen, Ängsten, Widersprüchen und ihrer Verständigungslosigkeit zu zeigen, die kaum einen Weg finden, miteinander ins Gespräch zu kommen, zuzuhören, sondern sich eher abgrenzen und in einer Welt des „Entweder-oder“ leben. Selbst die Idee, das Zuckerfest nach Beendigung des Ramadans in der Stadt gemeinsam zu feiern, wird subtil, aber nicht weniger bedrohlich unterlaufen, wenn „die Blauen“ mit ihrer dominant einschüchternden Art zu gehen und zu stehen dort auftauchen und Paul Witte mit süffisantem Grinsen – auch ein in diesem Roman bestehendes Erkennungsmerkmal der Blauen – ruft:
“ ‚G’n Abend, die Herrschaften … Wie sagt man bei Ihnen? Schönes … Zuckerfest? wir bringen Bienenstich, eine Spezialität meiner Frau, bitte greifen Sie zu.“ Verziert ist der Bienenstich mit kleinen blauen Fähnchen auf dem zu lesen ist:
‚Afghanistan vermisst euch.‘ oder
‚Eritrea vermisst euch.‘ „
Nana wird das schnell alles zu viel und auch Katjas Enttäuschung über den Ausgang der Wahl, abzulesen an ihren hängenden, kraft- und glanzlosen Haaren, ist überdeutlich. Der Kleider tragende Kurt, der im Wald Baumhäuser vermietet und sich daher für den Erhalt der Eisenbahnstation einsetzt, zieht folgendes Fazit:
„Hier muss man sich seine Energie einteilen, Nana. … Ist nicht wie bei euren Antifa-Aktionen, Dresden nazifrei, wo ihr wie Ufos für einen Tag in eine Stadt schwebt, kurz Ärger macht und wieder abhaut in euer Leben.“
Es ist ein Roman, der einen nachdenklich zurücklässt, mit mehr Fragen als Antworten, der aber deutlich macht, dass moralisches Drüberstehen und Verurteilen nur noch größere Gräben ziehen und sinnvolle Antworten erschweren, die Menschen da abholt, wo sie stehen und mit ihnen für alle menschenwürdige Ziele zu entwickeln und zu handeln. Zu groß ist der Egoismus Einzelner und einzelner Gruppen.
Elsa Koester Sprache ist geprägt durch vielen Neologismen, ihre Beschreibungen von Menschen, Landschaften und Gegenständen sind durchzogen von Farbeindrücken und Tönen, so als sei sie bzw. die Ich-Erzählerin Synesthäsistin: alles kann farbig leuchten oder auch nicht, und tönen oder auch nicht.
Elsa Koester, Im Land der Wölfe, Roman, Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt/M. 2024, 318 S., ISBN 978-3-627-00320-3
2 Gedanken zu „Elsa Koester, Im Land der Wölfe“
„… Ich wollte keine zukunftsgrüne Politikerin irgendwo in Sachsen coachen, das hat mich nicht interessiert. Es waren ihre Haare. Wenn ich ihre Haare anschaue, dann ist es so, dann kribbelt einfach alles.“ Wenn ich das lese, sorry liebe Mona Lisa, dann stellen sich bei mir die Härchen auf dem Arm auf und ich weiss, dass ich das Buch auf keinen Fall kennenlernen möchte. Das ist doch einfach beschämend naiv und unprofessionell. Wenn Wahlkampf so abläuft – wo auch immer – dann prost!
Aber vielleicht ist das Ganze ja eine Spur tiefgründiger, wer weiss. Ein paar Sätze sagen nicht alles, aber in diesem Fall für mich genug.
Ich bewundere dich aber, dass du auch solche unbequemen Bücher liest und uns teilhaben lässt am Fazit.
Einen lieben Nachmittagsgruss,
Brigitte
Du sprichst aus, was man hoffentlich bei mir auch zwischen den Zeilen lesen kann.
Der Roman will für meinen Geschmack einfach zuviel auf einmal. Der Handlungsstrang mit dem Bruder ist für meinen Geschmack völlig überflüssig.
Doch ich versuche, in meinen Besprechungen zunächst zu beschreiben und mit Leseproben anzureichern, so dass jede(r) für sich entscheiden kann, ob er zum Buch greift oder nicht.
Herzlichen Dank für deinen Kommentar verbunden mit lieben Grüßen aus Speckhorn.