
Ilse Helbich, Schwalbenschrift

Ilse Helbich war eine österreichische Schriftstellerin, die hundertjährig im Januar dieses Jahres gestorben ist. Der Droschl Verlag hat nun ihren Debütroman, den sie mit 80 Jahren geschrieben hat, in einer Neuausgabe veröffentlicht.
Dieser Debütroman ist ein sehr persönlicher, autobiografischer Roman, der in Ausschnitten ihren Lebensweg und die damit verbundenen Schwierigkeiten und Themen nachzeichnet, die eine Frau im letzten Jahrhundert – aufgewachsen in einer patriarchalischen Industriellenfamilie, in der Mädchen, Frauen nichts zählten, es vorgesehen waren, verheiratet zu werden und Kinder zubekommen – zu bewältigen hatte.
Sie fühlt sich nirgends wirklich zugehörig, weder in der Familie – sie ist aus der Elternwelt ausgeschlossen – noch in der (Kloster)Schule. Doch sie hat ihre Rückzugsorte: einen Garten oder einen Pferdestall:
„Die Pferde kennen sie . …
Sie sitzt da und ist zufrieden; sie ist allein und wieder nicht allein, nichts gibt es, über das sie jetzt nachdenken müsste, nichts, was sie kränkt oder freut.
Viel, viel später hört sie sich auf eine Frage einmal antworten: ‚Mein Zuhause? Ich war in einem Stall zu Hause.‘ „
Obwohl ständig auf der Suche nach ihrem ureigensten Zuhause, lebt sie – stets in einem großen inneren Zweispalt, der nicht selten zu innerer Verzweiflung führt – das einer Frau damals gemäße Leben: Nach ihrem Studium der Germanistik, das sie mit einer Promotion abschließt, arbeitet sie, hört damit auf, als sie verheiratet ist – weil sich das so gehört – wird Mutter, kümmert sich um die älter werdenden Eltern und wird immer kraftloser. Zugleich wird die Entfremdung zwischen ihr und ihrem Ehemann immer größer.
Durch den Verkauf ihrer Firmenanteile hat sie inzwischen eine finanzielle Freiheit, als ihr ihre jüngste Tochter eines Tages sagt:
“ ‚Du kannst jetzt gehen. Ich schaffe es schon allein.‘
Zwei Wochen später geht sie aus dem Haus. Sie hat über den Entschluss nicht lange nachgedacht – von einer Stunde auf die andere weiß sie, dass sie gehen muss.“
Sie wohnt zunächst zur Miete, vermisst aber einen Garten, sodass sie sich mit Siebzig entschließt, ein Haus mit Garten zu kaufen und beides gründlich zu sanieren und umzugestalten:
„Die alte Frau weiß nicht, ob sie glücklich ist. Aber sie weiß, dass sie hier zu Hause ist. Zum ersten Mal ist die Siebzigjährige zu Hause.“
Nach einem Leben voller Irr- und Umwege, begleitet von den Auswirkungen des „Anschlusses“ Österreichs an Deutschland 1938, der Kriegsfolgen, die auch in ihrer Familie spürbar sind, des Scheiterns Hitlers und seiner Schergen, der Einnahme Wiens durch russischen Soldaten, einschließlich einer Vergewaltigung, der sie sich nicht erwehren konnte, ist sie angekommen: in ihrem Haus, ihrem Garten, ihren Wahrträumen, die ihr aufzeigen, was sie sich immer gewünscht hat:
„Sie begreift, dass das Geträumte mit Erkennen zu tun hat – was sie sch jedoch wünscht, ist ein Wahrtraum vom Lieben, vom Umfangen, und Umfangenwerden.“
Doch das geht nur, wenn man bei sich angekommen ist. Ihr Garten, in dem immer wieder Unverhofftes zum Erschienen und später zum Erblühen führt, unterstützt sie dabei:
„So kommt mit den Geschenken immer wieder Unverhofftes in ihren Garten, das sie zu anderem Schauen, anderem Lieben veranlasst.“
Sie ist endlich frei, nach ihrer Fasson zu leben und zu lieben, und bleibt dennoch Suchende.
Ilse Helbich erzählt in diesem Roman nicht in der vielleicht naheliegenden Ich-Perspektive, sondern als personale Erzählerin, die eher nüchtern distanziert berichtet, was passiert. So bleiben den LeserInnen genug Spiel- und Phantasieräume, sich in die, von der erzählt wird, einzufühlen.
Ein Buch, das Mut macht, im Alter „nicht die Segel zu streichen“ und (sich) aufzugeben, sondern weiterzusuchen, nach Möglichkeiten, die eigenen „Wahrträume“ wahr werden zu lassen.
Ilse Helbich, Schwalbenschrift, Ein Leben von Wien aus, Roman, Literaturverlag Droschl, Graz-Wien 2024, 248 S., ISBN 978-3-99059-166-6
2 Gedanken zu „Ilse Helbich, Schwalbenschrift“
Damals brauchten die Frauen viel, viel mehr Mut, die zu werden, die sie wirklich sein wollten. Hut ab vor dieser Frau, die sich das Stück für Stück – wenn auch sehr spät – zugestanden hat.
Das ist sicher ein bewegendes Buch.
Lieben Gruss,
Brigitte
Es ist auf jeden Fall ein ermutigendes Buch, das einen die eigene Biografie reflektieren lässt.
Liebe Grüße