Maren Wurster, Papa stirbt, Mama auch

Maren Wurster, Papa stirbt, Mama auch

Leider hat das Buch auf dem Postweg einige Macken erhalten :(

„Papa stirbt, Mama auch“ ist das Ergebnis eines autofiktiven Schreibprozesses, der für die Autorin einen „Zusammenhang, ein Bild, eine Wahrheit“ entstehen lässt, „die vorher nicht da waren.“ Sie empfindet diesen Prozess in Anlehnung an De Man als einen Prozess der „Selbstheilung, des Sich-selbst-Wiederherstellens.“

Der Vater der Ich-Erzählerin – inzwischen selbst Mutter, lebt allerdings mit dem Vater des Kindes nicht zusammen – liegt auf der Intensivstation eines Krankenhause, die demente Mutter muss in eine Betreuung, gegen sie sich allerdings vehement wehrt. „Warum muss ich etwas machen, was ich nicht will?“

Auf die Ich-Erzählerin kommt als einzige Tochter ihrer Eltern eine Menge an Aufgaben zu, die sie in jeder Hinsicht, besonders aber auch emotional sehr fordern: Pflegeeinrichtungen für die Eltern finden, die Wohnung der Eltern auflösen, Betreuungsaufgaben, Gespräche mit Ämtern, PflegerInnen und ÄrztInnen … Das alles als berufstätige Frau mit Kind und später dann auch noch unter verschärften Corona-Bedingungen und oft gegen den heftigen Widerstand der Eltern, die lange nicht sehen wollen, sehen können, dass sie allein nicht mehr zurecht kommen.

Zudem „grätschen“ Kindheitserinnerungen mit den Eltern immer wieder dazwischen, die nicht immer nur nette Erinnerungen an gemeinsame Urlaube wachrufen, sondern auf der einen Seite das eher innige Verhältnis zum Vater verdeutlichen, der trotz seines chronischen Alkoholismus ihr meist zärtlich und liebevoll zugewandt war, und auf der anderen Seite die ziemlich distanzierte Mutter-Tocher-Beziehung:

„Ich bin viel bei dir, wenig bei Mama. Ich möchte die absehbare Zeit, die du noch hast, die ich noch habe, mit dir genießen und denke, dann immer noch Zeit mit Mama verbringen zu können. Ich entscheide mich, wie ich es schon als Kind gemacht habe, für dich.“

Auch sprachlich wird diese Distanz deutlich. Für den Vater benutzt sie das Personalpronomen „du“, redet also direkt von und mit ihm. Von ihrer Mutter spricht sie immer nur von: „die Mama“ oder von „sie“. Doch auch ihr Kind ist nur „das Kind“.

Mit der Zeit verändert sich ganz allmählich ihr Verhältnis zur Mutter, die immer zerbrechlicher wird und sich in sich zurückzieht, in sich versinkt. Sie „möchte mehr Zeit mit ihr verbringen, auch wenn sie nicht weiß, wie sie sie füllen soll.“
Und
„Ich weiß nicht, wieso, aber ich kann sie wieder berühren, sie wieder umfassen Es ist mehr als das, am liebsten würde ich in sie kriechen oder sie in mir aufnehmen, beides zugleich.“

Doch sie merkt, dass sie von nun an und für immer ihre eigene Mutter sein muss. Unwiederbringlich.

Es ist ein eindringlicher Text, den Maren Wursten da geschrieben hat, der einen beim Lesen implizit „zwingt“, sich Gedanken über Patientenverfügungen, Vorsorgevollmachten zu machen, oder die bereits vorhandenen noch einmal auf ihre Aktualität zu überprüfen, mit den eigenen Kindern oder Eltern ins Gespräch zu kommen, darüber, was wäre wenn.

Es zeigt aber auch einen Prozess des Verstehens, des Verzeihens, Versöhnens und Vergebens, der die Erzählerin immer mehr in einen Zustand des Akzeptierens, des inneren Friedens bringt.

Maren Wurster, Papa stirbt, Mama auch, Hanser Berlin, Berlin 2021, 157 S., ISBN 978-3-446-27112-8



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