Mirja Lanz, Sie flogen nachts

Mirja Lanz, Sie flogen nachts

„Der Wind ist ein Dichter, er schreibt
die Welt ins Reine;
nun ruht er und lässt das Leben sich setzen wie Staub.“

Toivo Laakso

Diese Zeilen stellt Mirja Lanz ihrem Debütroman „Sie flogen nachts“ voran, der von Aava, einer jungen Frau erzählt, die im Winter in die Heimat ihrer Vorfahren fährt: „Es war ein Land aus Wald und Wasser, das Aava in einem Zug durchreiste, an einem Wintertag, so windstill, dass er flüssig war.“

Es ist ein insgesamt handlungsarmer, sprachlich allerdings sehr poetischer leiser Roman, der viele Neologismen, Metaphern, Vergleiche nutzt, um das wiederzugeben, was Aava bei Verwandtenbesuchen, beim Langlauf, bei Spaziergängen in der Umgebung, bei Beobachtungen staunend erlebt, wenn sie achtsam spürend und lauschend unterwegs ist, sich aber auch behutsam der Sprache und ihrem Klang ihrer Vorfahren nähert. Im Text sind immer wieder nicht übersetzte kursiv geschriebene finnische Begriffe eingefügt, die sich allerdings meist aus dem Zusammenhang verstehen lassen, sonst aber auch im Glossar nachzuschlagen sind.

Flockenfall und Regen versucht Mirja Lanz auch optisch darzustellen. Im Kapitel „11. Februar, Aava hört sie fein“ sehen zwei Seiten grafisch so aus:

Viele Tage verbringt Aava in der Holzhütte ihrer Tante, die Veränderungen von Licht und Wetter im Außen bemerkend. Und da ist eine Geschichte, die sich ihr nähert, zunächst undeutlich, unscharf, unklar. Es ist die Geschichte ihrer Großmutter, die erzählt werden will. Den Prozess des Schreibens bzw. der Annäherung an diese Geschichte wird ebenfalls immer wieder beschrieben:

„Die Sätze bogen sich merklich in den Bleistiftschlingen, und die Blätter schwangen ihrem Auftritt hinterher. Alle Beteiligten … hielten einen Augenblick inne. Ich rührte mich nicht. Das war beim Fischen gut, und sicher auch, wenn man tat als würde man fischen. Aber nichts regte sich mehr. Die Zeilen lagen wie ein nasser Fang auf dem Blatt, die Sprache dümpelte, die Geschichte lag bei.“

„Sie flogen nachts“ ist ein lesenswerter Roman, ein Roman der leisen Töne. Im Anhang heißt es zutreffend: Es ist „die Geschichte einer Rückkehr und die Rückkehr einer Geschichte. In reinem Genuss an der Sprache webt Mirja Lanz in ihrem Debütroman einen dichten Teppich aus Klängen und Stimmungen und erzählt soghaft von Identität, Natur, Familie und Heimat.“


Mirja Lanz, Sie flogen nachts,Roman, Dörlemann Verlag, Zürich 2023, 207 S., ISBN 978-3-03820-122-9

6 Gedanken zu „Mirja Lanz, Sie flogen nachts

  1. Das tönt wirklich interessant. Und auch das Buchcover sieht sehr ansprechend aus.
    Danke für die anregende Buchbesprechung.
    Einen lieben Gruss zum Wochenbeginn,
    Brigitte

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