Roddy Doyle, Die Frauen hinter der Tür

Roddy Doyle, Die Frauen hinter der Tür

– Ich weiß nicht, was ich tun soll.
– Tu gar nichts, sagte Paula. – Tu das, was du willst.
– Hast du das getan?
– Hab ich was getan?
– Getan, was du wolltest, sagte Nicola. – Jemals?
– Himmel sagte Paula. – Na ja … Ich habe deinen Vater geheiratet.
– Und das war’s?
– Und ich habe ihn rausgeworfen.
Sie lächelte.
– Bitte sehr, da hast du’s sagte Paula. – Der Anfang und das Ende – sozusagen.
-Okay.
– Nur die Jahre dazwischen waren scheiße, sagte Paula. – Aber ich hab dich bekommen. Und die anderen drei. Und, Nicola? …
– Ohne dich wäre ich nicht hier, sagte Paula. … Aber weißt du? Jetzt musst du mich deine Mutter sein lassen. Du warst lange genug meine. Jetzt bin ich an der Reihe.

Dieser Dialog zwischen Paula und Nicola, ist einer der vielen, die zwischen Mutter und Tochter stattfinden, als Nicola eines Tages vor Paulas Tür steht, weil sie nicht mehr zurück zu Tony, ihrem Mann, und ihren Kindern will. Sie will nicht mehr Ehefrau und Mutter sein und bezweifelt, ob sie das je wirklich gewollt hat.

Für ihre Mutter bricht eine Welt zusammen, zumindest ihr Bild von ihrer Tochter Nicola, die ihr als Kind und Jugendliche beigestanden hat, als sie die Gewalttaten ihres Mannes nur noch im alkoholisierten Zustand ertragen, letztendlich aber nicht mehr wirklich präsent für ihre Kinder sein konnte. Nicola hat sie offensichtlich auch finanziell lange unterstützt:
„Der Kühlschrank, ihr Telefon, der Fernseher, ihr Lieblingshemd oben im Schrank, alles, was je erneuert oder repariert werden musste – all das stammte von Nicola.“
Paula war bisher stolz auf ihre Tochter und darauf, dass wenigstens dieses ihrer Kinder gelungen ist, hatte sie doch geglaubt, dass Nicola das perfekte, weil bürgerlich anerkannte Leben führt. Doch jetzt muss sie erkennten, dass es offensichtlich „nur“ perfekt arrangiert war.

In ziemlich unbeholfener Art versucht Paula, sich um ihre Tochter zu kümmern, ihr Mutter zu sein, die sie nie wirklich war. Sie glaubt, dass Nicola nach dieser Ruhephase wieder an ihren alten Platz in ihre Familie zurückkehren wird. Doch zunehmend muss sie erkennen, dass Nicola es ernst meint und tatsächlich nicht zurückwill, was sie nicht verstehen kann, vergleicht sie doch ihren Schwiegersohn mit ihrem Ehemann. Sie versucht dennoch mühsam, Verständnis für Nicola zu zeigen, was diese durchschaut:

„Also wage es nicht, mir zu erzählen, dass du es verstehen würdest.“

Der in zwei Teile gegliederte Roman erzählt im ersten Teil von vier Tagen aus Paulas Leben, die verdeutlichen, dass sie es geschafft hat, als trockene Alkoholikerin, Witwe eines erschossenen Mannes, den sie allerdings – seine anzüglichen Blicke auf die Tochter bemerkend – schon vor Jahren mit einer Bratpfanne niedergeschlagen und aus dem Haus vertrieben hatte, die tatsächlichen Übergriffe allerdings hat sie in ihrem Suff nicht mitbekommen – allein in dem Haus zu leben, in dem sie mit Mann und Kindern gelebt hat, einen Job hat, der ihr Spaß macht, und letztlich auch Freundinnen, mit denen sie etwas unternimmt und einen Partner, über den sie meist ironisch berichtet und denkt, der ihr dennoch gut tut und mit ihrem meist den Alkoholfolgen geschuldeten Sonderlichkeiten zurecht kommt.

Im zweiten Teil wird der 7. Mai 2021, ein bereits im ersten Teil beleuchteter Tag, in aller Ausführlichkeit, überwiegend dialogisch erzählt. Es ist ein Tag, der durch die Gespräche zwischen Mutter und Tochter ihr ambivalentes Verhältnis zueinander illustriert, immer wieder die von Gewalt geprägte Vergangenheit erinnert, das von vielen gesellschaftlich geprägten (Vor-) Urteilen herrschende Geschlechterverhältnis verdeutlicht und den über Generationen verbreiteten Missbrauch an Frauen, egal ob an Ehefrauen, mehr oder weniger jungen Mädchen, bis hin zum Inzest aufzeigt. Nicht immer direkt als Thema, doch in den Gesprächen stets präsent.
Die zum Teil sehr ordinäre Sprache der Mutter – sie benutzt, auch für ihre Tochter, viele abwertende Vergleiche wie „Schlampe“, „blöde Kuh“, fäkalsprachlich geprägte Begriffe – bilden Paulas soziale Herkunft ab, die sich auch in den von ihr (früher) gekauften Produkten widerspiegelt.
Es ist der Roman über zwei Frauen, die sich mühsam in ein eigenes selbstbestimmtes Leben wagen, das von außen zu beurteilen niemandem zusteht.
Die Tür symbolisiert zum einen das „Tor zur Freiheit“, vor der Paula in ihrer Verzweiflung über ihre Ehe immer wieder gestanden hat und dennoch nicht die Kraft hatte, sie zu öffnen und mit ihren Kindern, deren Koffer schon gepackt waren, zu gehen. In der Erzählgegenwart schützt sie die beiden Frauen und hindert andere, u.a. Nicolas Ehemann Tony, das Haus zu betreten. Das ehemals eher einem Gefängnis anmutende Haus ist nun Zufluchtsort, an dem man sich ausruhen, zu sich kommen und eigene Entscheidungen treffen kann.
Roddy Doyle verschafft den LeserInnen eine Art Innenansicht Paulas, die oft quälend lang ist, sicher aber ihre Innenwahrnehmug und Wahrheit erahnen lässt.
Jedenfalls kein vergnügliches Leseerlebnis, sicher aber ein aufklärendes, zum Verständnis beitragendes. Den auf dem Cover abgedruckten Aussagen kann ich nicht zustimmen.

Roddy Doyle, Die Frauen hinter der Tür, Roman, a.d. Engl. v. Sabine Längsfeld, Goya Verlag Hamburg 2025, 319 S., ISBN978-3-8337-4967-4

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