
Tom Saller, Wenn Martha tanzt

„Wenn Martha tanzt“ ist das spannende Portrait einer ungewöhnlichen Frau, die 1900 als Tochter des Kapellmeisters Otto Wetzlaff und seiner Frau Elfriede in Türnow, einem kleinen Dorf in Pommern geboren wird und dort auch aufwächst. Das Haus der Wetzlaffs ist ein offenes, lebendiges, in dem von Otto stets wechselnde junge Männer als Musiker ausgebildet werden. Die einzigen Konstanten neben ihren Eltern sind Wolfgang, der Klavierspieler, der in Marthas Erinnerung immer schon da war, und ihr verstorbener Bruder Heinz, von dem sie sich – ihr Leben lang – liebevoll begleitet fühlt.
Martha hört zwar Töne, sieht sie gleichzeitig aber in geometrischen Formen, etwas, was niemand nachvollziehen kann, außer Wolfgang, der diese ungewöhnliche Fähigkeit erkennt und Martha hilft, sie in die musikalische Sprache der anderen zu übersetzen, ohne ihre aufzugeben. Er rät ihr auch – als Überbrückung – ein Lehrerinnenseminar zu besuchen, bis Walter Gropius aus dem Ersten Weltkrieg zurück ist und in Weimar eine neue Kunstschule, das Bauhaus, eröffnet.
Martha geht – völlig unvorbereitet, ohne konkrete Vorstellungen – nach Weimar, nur begleitet von einem schwarzen Notennotizbuch, das Wolfgang ihr mit einer Widmung geschenkt hat:
„Meiner geliebten zukünftigen Studentin Matha Wetzlaff“
Martha wird am Bauhaus angenommen, obschon die Bewerbungsfrist bereits verstrichen ist und sie auch keine Bewerbungsmappe vorzuweisen hat. Für sie eröffnet sich eine völlig neue Welt, mit ungewohnten Einblicken, Menschen und Tätigkeiten, in der sie FörderInnen findet, die ihre ungewohnte Begabung spannend finden und ihr zeigen, dass ihr Körper das Instrument ist, das ihre Art der Musikwahrnehmung zum Ausdruck bringen kann. Matha lernt das (Ausdrucks)Tanzen.
Der Roman beginnt mit dem Verkauf des Notizbuches für fünfundvierzig Millionen Dollar 2001 bei einer Auktion in New York und umfasst damit einen Zeitraum von 100 Jahren, in denen LeserInnen das ungewöhnliche „Schicksal“ dieses Notizbuches und das außerordentliche Lebens seiner Verfasserin miterleben kann.
Gleichzeitig werden die gesellschaftlichen, sich zum Teil widersprechenden Veränderungen zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts an der Entstehung und Entwicklung des Bauhauses in Weimar und der gleichzeitig erstarkenden antisemitisch-nationalistischen Bewegung der Nazis deutlich, die in weiten Teilen Sympathisanten in der Bevölkerung finden, die allem Fremden grundsätzlich eher feindlich gegenüberstehen.
Gleichzeitig erzählt dieses Frauenportrait eine Familiengeschichte mit vielen Geheimnissen und nahezu unglaublichen Verwicklungen, wie sie nur in den Wirren des Zweiten Weltkrieges und den damit verbundenen Vertreibungen denkbar sind.
„Wenn Matha tanzt“ ist ein gut geschriebener, spannender, unterhaltsamer Roman des Mediziners und Psychotherapeuten Tom Saller, der es schafft, gleichzeitig zu unterhalten und (politisch) zu informieren und ungewöhnliche Zusammenhänge herzustellen – bis zum 1. September 2021.
Tom Saller, Wenn Martha tanzt, Roman, 11. Aufl. Berlin 2020, 287 S., mit einer mehrseitigen Leseprobe zu Sallers Roman „Ein neues Blau“, ISBN 978-3-548-06052-1
2 Gedanken zu „Tom Saller, Wenn Martha tanzt“
ich las es mit freude!
lieber gruß
Sylvia
Ich fand‘s auch klasse.