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Kategorie: Gedichte

Die Lebenden und die Toten

Die Lebenden und die Toten

„Es sind die Lebenden, die den Toten die Augen schließen. Es sind die Toten, die den Lebenden die Augen öffnen.“  (Slawisches Sprichwort) Ähnliches spricht Hilde Domin in ihrem Gedicht „Unterricht“ an.Dort heißt es in der ersten Strophe: Jeder der gehtbelehrt uns ein wenigüber uns selber.Kostbarster Unterrichtan den Sterbebetten. Wohl dem, der die Möglichkeit hat, seine Lektion unter „friedvollen“ Umständen zu lernen, vielleicht allmählich und nicht unter gefühlt „brutalen“, die einen von jetzt auf gleich mit dem Tod eines geliebten Menschen…

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Wolken

Wolken

Am nächtigen HimmelEin Drängen und Dehnen,WolkengewimmelIn hastigem Sehnen, In lautloser Hast– Von welchem ZugGebietend erfaßt? –Gleitet ihr Flug, Es schwankt gigantischIm MondesglanzAuf meiner SeeleIhr Schattentanz, Wogende Bilder,Kaum noch begonnen,Wachsen sie wilder,Sind sie zerronnen, Ein loses Schweifen …Ein Halb-Verstehn …Ein Flüchtig-Ergreifen …Ein Weiterwehn … Ein lautloses Gleiten,Ledig der Schwere,Durch aller WeitenBlauende Leere. (Hugo von Hofmannsthal)

Wesen der Schönheit

Wesen der Schönheit

Wir müssen es aussprechen, dass das Wesen der Schönheit nicht im Wirken liegt, sondern im Sein.Es müssten sonst Blumenausstellungen und Parkanlagen schöner seinals ein wilder Garten, der vor sich hin blüht irgendwo und von dem keiner weiß. (Rainer Maria Rilke)

Was bleibt?

Was bleibt?

Wenn deine Schönheit, dein Talent man preist,Sei der Gedanke stets dir gegenwärtig:Das Leben wird mit allem, allem fertig,Und wie das Antlitz altert auch der Geist. Du meinst: »Verschmerzen läßt sich der Verlust,Die Zeit mag ihres strengen Amtes walten,Bleibt mir nur eins, das Köstlichste, erhalten:Die tiefe Liebeskraft in meiner Brust!« So wisse: müd, erschöpft und abgehetztFühlst du dereinst auch diese Kraft dir schwinden,Dein Herz vertrocknet, stumpf wird dein Empfinden,Nicht lieben kannst du mehr – was bleibt zuletzt?! (Betty Paoli)

Einst war ich nur ein ungetanzter Tanz

Einst war ich nur ein ungetanzter Tanz

Einst war ich nur ein ungetanzter Tanz,ein nie gesungen Lied, erstickter Klangund halber Atemzug. O weher Kranzden man auf meine junge Stirne zwang. Nun bin ich alles: Tanz und Klang und Sinnund tiefer Atem, Lied das froh sich hebt;und weiß: ich bin durch ihn nur was ich binund starb um dies und hab um dies gelebt. Mit solchen Kronen krönt er mein Geschick.Er ist durch sich. Ich kann nicht gleiches geben.Doch wenn ich einst, noch flammenden Gesichts,mir auch gestehen müsste…

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Aufgang oder Untergang

Aufgang oder Untergang

Nenn ich dich Aufgang oder Untergang?Denn manchmal bin ich vor dem Morgen bangund greife scheu nach seiner Rosen Röte –und ahne eine Angst in seiner Flötevor Tagen, welche liedlos sind und lang. Aber die Abende sind mild und mein,von meinem Schauen sind sie still beschienen;in meinem Armen schlafen Wälder ein, –und ich bin selbst das Klingen über ihnen,und mit dem Dunkel in den Violinenverwandt durch all mein Dunkelsein. (Rainer Maria Rilke)

Grammatische Deutschheit

Grammatische Deutschheit

Grammatische Deutschheit Neulich deutschten auf Deutsch vier deutsche Deutschlinge deutschend, Sich überdeutschend am Deutsch, welcher der Deutscheste sey. Vier deutschnamig benannt: Deutsch, Deutscherig, Deutscherling, Deutschdich; Selbst so hatten zu deutsch sie sich die Namen gedeutscht. Jetzt wettdeuschten sie, deutschend in grammatikalischer Deutschheit, Deutscheren Comparativ, deutschesten Superlativ. „Ich bin deutscher als deutsch“. „Ich deutscherer“. „Deutschester bin ich.“ „Ich bin der Deutschereste, oder der Deutschestere.“ Drauf durch Comparativ und Superlativ fortdeutschend, Deutschten sie auf bis zum – Deutschesteresteresten; Bis sie vor comparativisch-…

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In der abendlichen Sonne

In der abendlichen Sonne

In der abendlichen Sonnesitzen wir gebeugten Rückensauf den Bänken in dem Grünen.Unsere Arme hängen nieder,unsere Augen blinzeln traurig. Und die Menschen gehn in Kleidernschwankend auf dem Kies spazierenunter diesem großen Himmel,der von Hügeln in der Fernesich zu fernen Hügeln breitet. (Franz Kafka)

Letzte Rose

Letzte Rose

Sommerbild Ich sah des Sommers letzte Rose stehn,Sie war, als ob sie bluten könne, rot;Da sprach ich schauernd im Vorübergehen:„So weit im Leben, ist zu nah am Tod!“ Es regte sich kein Hauch am heißen Tag,Nur leise strich ein weißer Schmetterling;Doch, ob auch kaum die Luft sein FlügelschlagBewegte, sie empfand es und verging. (Friedrich Hebbel)

Der scheidende Sommer

Der scheidende Sommer

Der scheidende Sommer Das gelbe Laub erzittert,Es fallen die Blätter herab;Ach, alles was hold und lieblichVerwelkt und sinkt ins Grab. Die Gipfel des Waldes umflimmertEin schmerzlicher Sonnenschein;Das mögen die letzten KüsseDes scheidenden Sommers sein. Mir ist, als müßt ich weinenAus tiefstem Herzensgrund;Dies Bild erinnert mich wiederAn unsre Abschiedsstund. Ich mußte von dir scheiden,Und wußte, du stürbest bald;Ich war der scheidende Sommer,Du warst der kranke Wald. (Heinrich Heine)