Andreas Izquierdo, Fräulein Hedy träumt vom Fliegen

Andreas Izquierdo, Fräulein Hedy träumt vom Fliegen

„Gegen drei Uhr in der Früh erwachte Fräulein Hedy aus einem herrlichen Traum und verlor den Verstand.“

Mit diesem schlichten Satz beginnt ein höchst amüsanter, rasanter, facettenreicher, bis zur letzten Seite spannender Roman. Zu lesen als eine amüsante Komödie, wenngleich er viele tragische Momente und Lebensereignisse erzählt, die Fräulein Hedy dennoch nicht davon abgehalten haben, nach ihrer Façon zu leben, zum Entsetzen ihrer einzigen, in Münster lebenden Tochter Hannah.

Sie versucht mit allen Mitteln von ihrer Mutter den Vorsitz ihrer Stiftung zu übernehmen. In einem Prozess will sie deren Unzurechnungsfähigkeit feststellen lassen, nachdem die 88 Jahre alte Hedy von Pyritz in der örtlichen Presse folgende Annonce aufgegeben hat:

„Dame in den besten Jahren sucht Kavalier, der sie zum Nacktbadestrand fährt. Entgeltung garantiert.“

Dieser Kavalier soll Jan sein, ein junger, eher schüchterner, zurückhaltender Physiotherapeut, den sie engagiert hat, weil er so gut fliegende Papierflugzeuge basteln kann. Ebenfalls Anzeichen, dass sie den Verstand verloren hat?

Im Verlauf des Romans erfährt der Leser dann, welche Bedeutung (Papier-) Flieger für Fräulein Hedy haben und auch, weshalb sie sich als Fräulein anreden lässt, obwohl sie ja eine Tochter hat und man davon ausgehen kann, dass sie einmal verheiratet gewesen ist.
Dieser Jan also soll sie fahren. Leider stellt sich heraus, dass er weder einen Führerschein hat, noch lesen und richtig schreiben kann.

Für Hedy alles kein Hindernis. Denn: Für sie gibt es keine Hindernisse und keinen Widerspruch. Und sie hat ein Auto, einen Oldtimer. Warum soll es also unmöglich sein? Und so macht sie alles in ihrer Macht stehende dafür, dass Jan sie wird fahren können.

Beide machen im Verlauf des Romans eine bedeutende Entwicklung durch. Es entsteht eine inspirierende Freundschaft, in der sich beide nach und nach mit ihren Lebensgeheimnissen zeigen können. Ihr Leben soll Jan dann als Roman aufschreiben, er, der zwar gut zuhören, aber nur mühsam schreiben kann. Doch Hedys ereignisreiches Leben fasziniert Jan, nicht nur aufgrund der erschütternden Ereignisse, die Hedy während der Zeit des Nationalsozialismus erlebt hat. Es ist vielmehr ihre Haltung, ihr unbeugsamer Wille, ihren Weg zu gehen und ihre Träume zu verwirklichen, trotz der enormen Widerstände, die ihr vor allem entgegengebracht worden sind, weil sie eine Frau ist.

Jan ist daher fest entschlossen, ihr ihren Wunsch zu erfüllen. Auch er muss viele innere und äußere Widerstände, Hindernisse überwinden, die fast nicht überwindbar erscheinen. Doch Hedy wird ihm zunehmend Vorbild.

So entsteht zwischen den beiden allmählich gegenseitiges Verständnis für ihr jeweiliges Sosein und ihre Verhaltensweisen. Es öffnen sich neue Räume, in denen beide neue Erfahrungen machen und sich auf Augenhöhe begegnen können.

Der Roman ist trotz seines Tiefgangs leicht, spannend, humorvoll und unterhaltsam geschrieben, dass man ihn kaum weglegen mag. Es ist pures Lesevergnügen. Ein Buch, dem ich viele LeserInnen wünsche. Es ist ein Mutmachbuch, die eigenen Lebensziele und Träume nicht unterwegs zu verlieren. Aber auch ein Plädoyer dafür, etwas zur Realisierung zu tun und durchzuhalten. Und das ganz ohne pädagogischen Zeigefinger: Wunderbar!

Andreas Izquierdo, Fräulein Hedy träumt vom Fliegen, Roman, Insel Verlag, Berlin 2018, 524 S., ISBN 978-3-458-36309-5

4 Gedanken zu „Andreas Izquierdo, Fräulein Hedy träumt vom Fliegen

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