Eduardo Galeano, Geschichtenjäger

Eduardo Galeano, Geschichtenjäger

Ich mag Menschen, die in der Lage sind, „einen Sachverhalt, eine Situation, Begebenheit oder Geschichte so auf den Punkt zu bringen, dass eine extreme Verdichtung zustandekommt“. Und so beschreibt Lutz Kliche, Übersetzer Galeanos, dessen Sprachgewaltigkeit, der Geschwätzigkeit fremd war: „Hohle Phrasen, falsches Pathos waren ihm stets ein Gräuel.“

Es entstanden wunderbare, poetische Miniaturen mit großer, subtiler Faszination, die dem Leser Essenz pur bieten und ihn auffordern, Einzelheiten der jeweiligen Geschichte selbst zu fantasieren. „Geschichtenjäger“ ist eine feine, erst nach dem Tod des Autors im Jahre 2015 erschienene Geschichtensammlung mit den großen Themen des Autors, jetzt in deutscher Übersetzung herausgegeben.

„Was für den Leser mit großer Leichtigkeit aufs Papier geworfen erscheint, ist in Wahrheit Ergebnis harter Arbeit des Feilens und Polierens, bis alles Überflüssige aus dem Text verschwunden ist, alles Wesentliche aber erhalten bleibt.“ Genau das zu übersetzen, ist dann auch die Herausforderung, der sich der Übersetzer stellen muss, wie im Nachwort zu lesen ist.

Die oft fein ironisch erzählten Geschichten umfassen nahezu alle Lebensbereiche, erzählt aus Galeanos spezifischer Perspektive: das Verhältnis von Oben und Unten, Macht und Ohnmacht, Arm und Reich, Leben, Gleichberechtigung und den Tod:

BARBARISCHE BRÄUCHE
Den englischen Eroberern blieben vor Staunen Mund und Nase offen stehen.
Sie kamen aus einem zivilisierten Land, wo die Frauen Eigentum ihrer Männer waren und ihnen gehorchten, wie es die Bibel befahl, doch in Amerika fanden sie eine Welt, die auf dem Kopf stand.
Die Frauen der Irokesen und anderer indianischer Nationen waren der Freizügigkeit verdächtigt. Ihre Ehemänner besaßen nicht einmal das Recht, die Frauen zu bestrafen, die ihnen gehörten. Die Frauen hatten eigene Meinungen und eigenen Besitz, das Recht auf Scheidung und das Recht auf eine Stimme bei den Entscheidungen der Gemeinschaft.
Die weißen Eindringlinge konnten nicht mehr ruhig schlafen: Die Sitten der wilden Heidinnen waren drauf und dran, ihre eigenen Frauen anzustecken.

Sonnenuntergänge, Wolken wird man nach dem Lesen seiner Miniaturen vielleicht ein wenig anders betrachten:

AM ENDE JEDES TAGES
Die Sonne schenkt uns ein Adios, das immer erstaunlich ist, nie wiederholt sie den Untergang von gestern, noch den von morgen.
Sie ist die Einzige, die auf so wunderbare Weise von uns geht.
Es wäre eine große Ungerechtigkeit, sterben zu müssen und sie nicht mehr zu sehen.

DIE WOLKEN
Nachts, wenn niemand sie anschaut, kommen die Wolken zum Fluss herab.
Über den Fluss gebeugt, saugen sie das Wasser auf, das sie später auf die Erde niederregnen lassen.
Manchmal, wenn sie mitten in der Arbeit sind, fallen ein paar Wolken ins Wasser, und der Fluss nimmt sie mit sich fort.
Wenn es morgen wird, kann jeder, der will, die gefallenen Wolken vorbeikommen sehen.
Sie treiben auf dem Wasser, träge Schiffchen aus Baumwolle, und schauen zum Himmel hinauf.

Weshalb er schreibt und mit welchen Unsicherheiten und Zweifeln dieses Handwerk immer noch verbunden ist, auch darüber kann man lesen:

„Ich versuchte und versuche immer noch, mit meiner Unfähigkeit klarzukommen, neutral zu sein, und mit meiner Unfähigkeit, objektiv zu sein, vielleicht, weil ich mich weigere, zum Objekt zu werden, gleichgültig gegenüber den menschlichen Leigenschaften.
Ich versuchte und versuche immer noch, die Frauen an und Männer zu entdecken, die vom Willen zur Gerechtigkeit und vom Willen zur Schönheit getrieben sind, denn sie sind meine Landsleute und meine Zeitgenossen, wo immer sie auch geboren sein mögen und wann immer sie auch gelebt haben mögen.“

Seinen Traum, Fußballer zu werden, hat er fallenlassen müssen:

„Gleich zu Anfang ein Geständnis: Seit ich ein Säugling war, wollte ich Fußballer werden. Und ich war der Beste der Besten, die Nummer eins, doch nur im Traum, während ich schlief.“

Ich finde es gut so, dass er „Geschichtenjäger“ geworden ist und wünsche diesem Band viele Leser. Es lohnt sich, vor allem das Formtat ist handtaschentauglich. Er kann also gut mitgenommen und immer mal wieder gelesen werden. Die Geschichten schaffen heilsame „Auszeiten“.

Eduardo Galeano, Geschichtenjäger, a.d. Spanischen v. Lutz Kliche, Peter Hamamer Verlag, Wuppertal 2018, 285 S., ISBN 978-3-7795-0586-0

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