Isabela Figueiredo, Die Dicke

Isabela Figueiredo, Die Dicke

„Die Dicke“ ist der neue Roman des Weidle Verlags aus Bonn, der zunächst erst Anfang März erscheinen sollte, aber schon jetzt im Buchhandel erhältlich ist. Die Vorstellung durch die Autorin auf der Leipziger Buchmesse mit dem diesjährigen Schwerpunkt Portugal fällt – coronabedingt – aus.

Also erfolgt die Vorstellung auf dem „Virtualienmarkt“ wie Stefan Weidle in seiner Ankündigung schreibt.

„Die Dicke“ ist ein intelligenter, autobiografischer Roman der Journalistin Isabela Figueiredo, eine Art Entwicklungs- und Liebesroman, der sich in der Kapitelaufteilung an der elterlichen Wohnung orientiert, die die Ich-Erzählerin Maria Luisa nach dem Tod der Eltern übernimmt. Zunächst scheint diese Einteilung nicht unbedingt einsichtig, eher eine Art „Aufhänger“ für ihre Lebens- und Liebesgeschichte zu sein, die sich nach und nach zu einem Bild fügen, in der die Wohnung eine zentrale Bedeutung hat.

Das erste Kapitel „Eingangstür“ ermöglicht dann auch direkt und unverblümt die Sicht auf die Ich-Erzählerin:

„Vierzig Kilo sind ein respektables Gewicht. Die habe ich nach meiner Magenverkleinerung verloren. Es war eine Art zweiter Körper, den ich da mit mir herumtrug. Mit mir herumschleppte, besser gesagt. Es war, als hätten die Ärzte mich von einem siamesischen Zwilling getrennt, der vor lauter Kummer Selbstmord begangen hatte, und mir dann gesagt: ‚Wir haben unsere Arbeit getan, tun sie jetzt die Ihre, und kommen Sie klar damit. Lernen Sie, allein zu leben.‘ „

Doch mit der Operation ist ihr noch immer nicht der Zugang zur Welt der Normalen möglich: „Mein Denken ist immer noch das einer Dicken. Ich werde immer die Dicke bleiben.“

Sie hat hautnah erleben müssen, wie sie als Dicke ausgegrenzt, abgewertet, beschimpft, beleidigt, mit hässlichen Spitznamen angesprochen wurde, statt mit ihrem richtigen Namen. „Die Jugend ist ein tiefer Brunnen voller Grausamkeiten, Atrium des späteren Lebens, aus dem man nicht ohne blaue Flecke rauskommt.“

Letztendlich wird sie von fast allen auf ihren massigen Körper reduziert, den sie im Grunde ihres Herzens aber mag, den auch ihr Freund David mag, denn er bereitet beiden unbändige Freude und Lust. Die Wohnung der Eltern wird in deren Abwesenheit zu einem gern genutzten „Liebesnest“. Denn als Freundin, mit der sich David auch in der Öffentlichkeit zeigen mag, taugt die Ich-Erzählerin dann doch für ihn nicht. Zumal sie auch noch älter ist als er.

David trennt sich dann auch von Maria. Er hat sich in eine hübsche Studentin verliebt, die er später heiratet. Maria leidet sehr darunter, weiß kaum, wie sie die Trennung verarbeiten soll: „Sollte eine Frau wie ich etwa in eine Notaufnahme gehen und als Leiden angeben, daß man ihr die Liebe verweigert hatte?“

Doch sie kann schreiben. Also schreibt sie mit Stolz gegen ihre harte Realität an. „Mein Leben sollte alles oder nichts sein.“ Als Lehrerin wird sie später ausgerechnet an die Schule versetzt, an der auch David unterrichtet. Ihre Geschichte ist also noch nicht zu Ende.

Der Roman „Die Dicke“ ist kein einfach gestrickter, platter Liebesroman. Vielmehr die Darstellung eines Lebens, in der Sehnsüchte, Wünsche, Bedürfnisse kaum oder wenig Erfüllung finden, weil Maria dick, also für viele nicht normal ist. Damit werden aber auch die vorherrschenden gesellschaftlichen Normen deutlich und fragwürdig, nach der Frauen teilweise wie auf einem Viehmarkt beurteilt werden. Der Roman enthält Passagen, in denen sich Maria mit vielen Aspekten ihres Lebens auseinandersetzt, unter anderem mit ihrer Einsamkeit nach dem Tod der Eltern:

„Der Sieg der Einsamen kennt keine Zeugen und macht die Einsamkeit noch einsamer. Niemand ist stolz auf uns. Niemand lobt uns. In der Einsamkeit sind wir immer gleich, immer dieselben, und deswegen ignorieren wir unsere Erfolge und konzentrieren uns lieber auf die Fernsehnachrichten, …“

Ihr wird zunehmend allerdings auch ihre Rolle, ihre Verantwortung deutlich: „Warum habe ich den Leuten nur all die Jahre zugehört?! Warum habe ich ihnen Gehör geschenkt, wohl wissend, dass ich recht hatte. Der Spott wäre immer auf den Spottenden zurückgefallen, wenn ich ihn nicht so angenommen hätte, wie ich es tat. Was für eine schöne Frau war ich doch immer! Ein so perfekter Körper, so imposant, wie konnte ich ihn nur so lange nicht lieben?!“ In diesen Fragen werden sich sicher viele Frauen wiederfinden, nicht nur die „Dicken“.

Der Roman hat so viele, interessante Passagen – etwa über das Beamtentum – das man aus dem Zitierenwollen kaum herauskommt. Doch selbst lesen ist auf jeden Fall besser!

Isabela Figueiredo, Die Dicke, Roman, a.d. Portugiesischen v. Marianne Gareis, Weidle Verlag, Bonn 2021, 274 S. ISBN 978-3-938803-98-1

4 Gedanken zu „Isabela Figueiredo, Die Dicke

  1. Kennst du diesen Verlag? Und anderen Romane, die dort erschienen sind – alle in ihrer Art sehr besonders. Und keine Beleidigung menschlicher Intelligenz wie zunehmend Filme im Fernsehen. Eine gute Alternative!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert