Agota Kristof, Die Analphabetin
„Ich lese. Das ist wie eine Krankheit. Ich lese alles, was mir in die Hände, vor die Augen kommt: Zeitungen, Schulbücher, Plakate, auf der Straße gefundene Zettel, Kochrezepte, Kinderbücher, alles, was gedruckt ist.
Ich bin vier Jahre alt.“ Diese unheilbare Krankheit wird Agota Kristof ihr Leben lang begleiten, später ist die Lust zum Schreiben ihr zusätzlicher Begleiter, dann nämlich „wenn die schlechten Tage kommen.“ Und die kommen mit dem Krieg, ihrem Aufenthalt im Internat, der sowjetischen Besatzung und den damit verbundenen „Feindes-sprachen“ Deutsch und Russisch, andere Fremdsprachen sind verboten. Später flieht sie mit Mann und Kind und lebt in der französisch sprechenden Schweiz, wo sie in der Fabrik arbeitet. Auch das Französische empfindet sie als Feindessprache. Denn: „diese Sprache tötet allmählich meine Muttersprache.“ Aber sie ermöglicht ihr wieder zu lesen und zu schreiben, sich auszudrücken in der Wüste, denn so empfindet sie ihr Exil – zumindest zu Beginn.
Diese autobiographische Erzählung kommt in extrem kurzen, kargen Sätzen daher, oft nur Subjekt, Prädikat (u. Objekt), in einer Alltäglichkeit, die dennoch das Kopfkino in Gang setzen und tiefe Einblicke in das Leben dieser in der Schweiz lebenden Ungarin geben, die ihre Krankheit zu lesen, zu schreiben, sich auszudrücken nicht loswird und auch nicht loswerden will – zum Glück für alle LeserInnen.
Agota Kristof, Die Analphabetin, Autobiographische Er-zählung, Aus dem Französischen von Andrea Springler, München 2007, 75 S. , ISBN 978-3-492-24902-7
3 Gedanken zu „Agota Kristof, Die Analphabetin“
Ums Lesen als Überlebenschance geht es auch in diesem Betrag Smillas: http://anders-anziehen.blogspot.com/2011/04/lesen.html