André Heller, Zum Weinen schön, zum Lachen bitter

André Heller, Zum Weinen schön, zum Lachen bitter

Schon das Cover – gestaltet nach einem Motiv André Hellers – ist voller Kontraste: bunt, farbig, mit viel Schwarz, gehalten von einem schwarzen Rahmen. Es ist eine Sammlung mit Erzählungen aus vielen Jahren.

André Hellers Erzählungen sind oft einem kaum erwähnenswerten Alltagsgeschehen oder Personen gewidmet, die einem möglicherweise gar nicht auffallen würden. Doch durch die Beachtung in den Erzählungen Hellers rücken sie und ihre Tätigkeiten, aber auch ihre Gedanken, Wünsche und Phantasien in den Vordergrund – der Erzähler ist da nicht ausgenommen: Da gibt es die Namenlosen, die Milchfrau, den Kellner, Falschspieler, aber auch Ramón, Insasse einer psychiatrischen Klinik.

Viele der Erzählungen haben einen novellenhaft, kurzgeschichtlichen Charakter. Es sind häufig Momentaufnahmen, die allerdings so in die Tiefe gehen, dass sie wie ein Blitzlicht das Leben eines Menschen ausleuchten können. Etwa in „Die Frau in der Tür zum Park“. Ihr wird mit einem Mal schlagartig klar:

„Nichts strengt mehr an, als ohne Entscheidung zu leben. Man hat bald keine Mitte mehr und muss immer geschickter balancieren, um nicht zu stürzen. Aber woher soll das Eindeutige kommen? Ich wünschte, man könnte in ein Geschäft gehen und eine Bestellung auf einen klaren Kopf machen. Ein Entweder/ Oder brauch ich, aber alles, was ich denken kann, ist sowohl/ als auch.

Sie meint, sie müsse sich zwischen ihrem Ehemann und Geliebten entscheiden, obschon beide sie auf ihre jeweilige Art und Weise faszinieren:
„Was sind das überhaupt für Wörter: der andere und mein Mann. Beide sind mir ganz nahe und immer wieder, Augenblicke später, ganz fremd. … Das Fremdsein hat aber auch sein Gutes. Auf vieles ist man ganz unvorbereitet und lernt sich selbst in neuen Situationen kenn. Das Fremde ist immer die Voraussetzung für das Abenteuerliche, und ohne Abenteuer habe ich kein frohes Herz. Trotzdem bekomme ich oft mitten im Abenteuer Heimweh.

Die Lösung scheint die Begegnung mit einem Menschen zu sein, der Abenteuer und Vertrautheit vereinen kann, nur der könne sie retten. Ja, sie will gerettet werden, bemerkt dann im gleichen Augenblick, dass sie ja noch nie allein gelebt hat und es vielleicht einmal mit dem Spüren versuchen könne, doch da begegnet ihr wieder ein Aber:

„Wenn es nur nicht so viele Arten von Spüren gäbe.“

Die Suche nach Eindeutigkeit bringt sie immer wieder in ein Sowohl/ als auch, weil sie mit den Einschränkungen Festlegungen des Entweder/ Oder nicht leben will. Ihr Fazit: „Alles ist ungerecht, was ich denke.“
Eine Lösung, eine Antwort gibt es nicht, die bleibt den LeserInnen überlassen.

In „Der Fall Moskovic“ beobachtet der Erzähler ein greises Paar in einer Hotelbar, kann ihrem Gespräch mit den lauten Stimmen Schwerhöriger gar nicht ausweichen und erhält den Eindruck: Sie nehmen die Gegenwart nicht zur Kenntnis und bestehen aus nichts als Erinnerung und Illusion. Eine Katze, die der Erzähler streichelt, lässt ihn „in einer plötzlichen Aufwallung von Selbstmitleid“ denken: „Für die Katze ist immer jetzt und für die beiden Greise immer damals, aber wohin gehöre ich eigentlich?“

Hellers Erzählungen schildern zwar überwiegend vom persönlichen Leben der Menschen, exemplarisch dargestellt an kleinen Episoden, die das Politische, Gesellschaftliche, das latent Fremdenfeindliche, Antisemitische aber oft mehr oder weniger deutlich durchscheinen lässt, wie etwa in „Dem Himmler sein Narr“, die allerdings nicht wie die meisten Erzählungen in Österreich, sondern in Amerika spielt.

Hellers Sprache ist durchweg poetisch, voller Wortneuschöpfungen, Wortspielereien oder ungewohnten Kombinationen, sehr phantasievoll und gleichzeitig Ausdruck genauer Beobachtung: da gibt es „Gedächtnispassagiere“, „Luftwesen“, „Furien der Melancholie“, „Hyänen des Schwermuts“, „Aasverwerter verdorbener Ängste“, Hochschaubahnfahrende„, „Lavendelweiber“. Und dennoch lassen die Erzählungen genug Freiraum für eigene Assoziationen, für Rückblenden im eigenen Leben, Raum für Nachdenklichkeit, eigene Stellungnahmen.

Immer wieder musste ich beim Lesen an André Hellers Lied „Die wahren Abenteuer sind im Kopf und sind sie nicht im Kopf, dann sind sie nirgendwo“ denken. Die zum Teil real anmutenden Erzählungen erfahren stets eine Art Erhöhung durch die phantasievolle, den Menschen zugeneigte Art der Darstellung, die sie – auch in ihrer Beschränktheit, Besonderheit etc. oder eher gerade deshalb? – so liebenswert machen, das man die ein oder andere Person gerne treffen würde – wenn man denn selbst in der Lage ist, so offen, neugierig, humorvoll und warmherzig auf Menschen zuzugehen.

„Zum Weinen schön, zum Lachen bitter“, eine Lektüre, die mir viel Spaß gemacht hat, zu der man immer mal wieder greifen kann. Sie muss ja ja nicht wie ein Roman eher in einem „Rutsch“ gelesen werden.

André Heller, Zum Weinen schön, zum Lachen bitter, Erzählungen aus vielen Jahren. Mit einem Nachwort v. Franz Schuh, Paus Zsolnay Verlag, Wien 2020, 234 S., ISBN 978-3-552-05978-8

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