
Daniela Krien, Mein drittes Leben

Lindas drittes Leben beginnt mit dem Unfalltod Sonjas, ihrer einzigen Tochter:
„Beinahe alles, was mein Leben ausgemacht hatte, war mit einem Schlag bedeutunglos geworden. Mit sicherer Hand hatte der Tod den Vorhang aufgezogen, und dahinter lag im klarsten Licht die Wahrheit:
Fast nichts war von Belang. Fast alles war entbehrlich. Nur die Würde war unverzichtbar. … Mein Leben ergibt keinen Sinn mehr.“
Linda hat sich allein, ohne ihren Mann Richard, in ein altes Bauernhaus in einem kleinen Dorf zurückgezogen, nur Kaja, die Hündin der verstorbenen Besitzerin, als Begleiterin. Nichts und niemand kann sie trösten oder aus dieser selbstgewählten Einsamkeit herausholen. Sie blockt alles und jeden ab:
„Fast zwei Wochen ist es nun her, dass ich mit einem lebendigen Menschen gesprochen habe. Außer den Spaziergängen mit Kaja in der Morgendämmerung und den kurzen Autofahrten bis zum nächsten Supermarkt habe ich den Hof nicht verlassen. Mein Leben ergibt keinen Sinn mehr.“
Sie denkt sogar über Suizid nach. Und doch sind da feine, leise (Beziehungs) Fäden, die sie mit ihrem Mann, den Nachbarn des Dorfes verbinden, und die Notwendigkeiten des Alltags, die sie – für sie lange unmerklich – am Leben erhalten und langsam wieder in ein neues, anderes Leben nach dem Tod ihrer Tochter gleiten lassen: das Kümmern um die Hühner, den Hund, Holz hacken etc.
Und irgendwann wird ihr klar, dass nicht nur sie „ihr Pächchen“ zu tragen hat:
„Blind, taub und fühllos, hauste ich da, ohne zu bemerken, dass hinter den Mauern des Nachbarhauses genauso gerungen, gefürchtet, geträumt und geliebt wird wie überall.“
Sie beginnt allmählich wieder, andere Menschen wahrzunehmen und zaghaft mit ihnen in Kontakt zu kommen. Und irgendwann kann sie dann wieder an die Gestaltung ihres neuen, dritten Lebens denken und ins Tun kommen.
Das Buch verdeutlich auf sehr ruhige, fast zart Art, wie jemand mit großer, tiefgreifender Trauer um den Verlust eines geliebten Menschen umgeht, wie Linda selbst zu einer Art Grenzgängerin zwischen Leben und Tod wird, unerreichbar von anderen Menschen, die sie dennoch nicht aufgeben und in vielfacher Art auf sie achten und ihr immer wieder Kontaktangebote machen. Solange, bis sie beginnen kann, sie wahr- und anzunehmen. Lesenswert!
Daniela Krien, Mein drittes Leben, Roman, Zürich 2024, 294 S., ISBN 978-3-257-07305-8
6 Gedanken zu „Daniela Krien, Mein drittes Leben“
Das tönt schön und glaubhaft und ist bestimmt eine harte Grenzerfahrung und Rückkehr ins Leben.
Danke fürs Berichten und lieben Gruss ins Heute,
Brigitte
Für mich war es glaubhaft, auch wenn es vielleicht nicht meine Art der Trauerverarbeitung wäre. Doch die ist ja sehr individuell und Bewertungen und Rat-Schläge haben da nichts zu suchen.
Herzliche Morgengrüße
oh danke für diese feine rezension! ich zögerte noch – aber nun werde ich wohl:-))). las zwei andere von ihr (die titel fallen mir grad nicht ein) und finde, dass sie sehr gut und anregend schreibt. danke!
lieber gruß
Sylvia
Für mich ist es wirklich ein empfehlenswerter Roman, wenn man mit diesem Thema keine Berührungsängste hat.
Liebe Grüße
Bei dir ist ein ähnlicher Verlust schon länger her und doch konntest du sicher einigen Schilderungen nachspüren…
Gruß von Sonja
Auf jeden Fall. Dennoch ist ihre Art der Trauerverarbeitung eine andere.
Was gleich ist, ist die Erkenntnis, dass der Verlust ein lebenslang spürbarer ist. Er gehört zum eigenen Leben dazu, wie eine Narbe, die man sich zugefügt hat oder die einem zugefügt worden ist.
Liebe Grüße