Etty Hillesum, Das denkende Herz

Etty Hillesum, Das denkende Herz

„Wir dürfen zwar leiden, aber wir dürfen nicht darunter zerbrechen. Und wenn wir diese Zeit unversehrt überleben, … dann haben wir auch das Recht, nach dem Krieg ein Wort mitzureden. Vielleicht bin ich eine ehrgeizige Frau: Ich möchte ein sehr kleines Wörtchen mitreden.“

Ihr Wunsch konnte leider nicht in Erfüllung gehen, da Etty Hillesum in Auschwitz ermordet worden ist. Erhalten sind aber ihre Tagebücher aus den Kriegsjahren 1941-1943, in denen sie in bewegender Art Zeugnis davon abgibt, wie sie in den äußeren schweren Zeiten, gekennzeichnet durch zunehmenden Mangel und immer stärkere Einschnitte in den persönlichen Lebensraum, ihren inneren Reichtum entdeckt. Dieser Reichtum ist für sie Kraftquelle, um mit dieser Zeit und ihren Herausforderungen sinnbringend umzugehen. Er lässt sie erst einmal annehmen, was ist und wie es ist:

„Alles ist immer gut, so wie es ist. Jede Situation, so elend sie auch sei, ist etwas Absolutes und hat das Gute und Schlechte in sich eingeschlossen.“

Nicht immer, aber doch meistens gelingt es ihr, das Gute, das Sinnbringende in ihren Lebenssituationen zu erkennen, ohne den Mangel ausblenden zu müssen. Das macht sie stark und lässt sich auch für andere da sein. Dabei begegnet sie immer wieder Menschen, die ihre persönlichen Grenzen erreicht haben:

„Ab und zu sterben hier Menschen an gebrochenem Geist, weil sie den Sinn nicht mehr erkennen können, junge Menschen. Die ganz alten Leute wurzeln noch stärker im Boden und nehmen ihr Schicksal würdig und gelassen hin.“

Ihre „Verwurzelung“ findet sie in Gott, der ihr hilft, in aussichtslosen Situationen, in denen nichts mehr getan werden kann, „nur noch zu sein und sich zu ergeben“.

Dass auch sie – trotz ihrer Anbindung in ihre innere Kraft – von Verzweiflung, Ängsten und Sorgen geplagt wird, verschweigt sie nicht. Doch sie findet relativ schnell aus diesen Gemütslagen heraus. Dabei sind Dichter wie Rilke und Tolstoi ihr wertvolle Hilfe, neben Gesprächen mit ihrem Lehrer Julius Spier und einigen wenigen Freunden.

Ihr eigenes Tagebuchschreiben ist ebenfalls Bewältigungsmöglichkeit für das, was ihr im Innen und Außen zustößt. Gleichzeitig betrachtet sie es auch als Vorübungen für ihre spätere Schriftstellerei, zu der es dann leider nicht mehr kommt. Schade!

Etty Hillesum, Das denkende Herz, Die Tagebücher von Etty Hillesum 1941-1943, hrsg. u. bearb. v. J.G.Gaarlandt, a.d. Niederländischen v. Maria Csollány, Reinbek 24. Aufl. 2013, 222 S., ISBN 978-3-499-15575-8

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