
Kenneth Moe, Rastlos

„Es gibt nicht einmal irgendein Muster an der Zimmerdecke, das ich studieren oder in das ich mich selbst projizieren könnte. Nur Weiß. Nur Leisten, dort, wo Decke auf Wand trifft, und eine Leitung entlang der Leisten. Spinnweben in einer der Ecken. Wenn der Herzrhythmus steigt, wenn ich die Kontrolle über den Atem verliere und der Atem Wirbelwinde bildet und die Winde meine Gedanken einfangen und sie aus mir herausschleudern, hierhin und dorthin ins Zimmer, und ich nicht mehr unterscheiden kann, was oben und unten ist oder links und rechts oder gut und böse oder gut und schlecht oder Liebe und Hass oder Angst und Begehren, dann sieht die Decke auf mich herab, gleichgültig und erduldet das alles mit niederschmetternder Ruhe.“
Diese Zeilen beschreiben die innere und äußere Situation, in der sich der junge Ich-Erzähler befindet, nachdem die Beziehung zu seiner Freundin in die Brüche gegangen ist. „Mein Zimmer ist genauso leer wie mein Leben.“
Tagelang schließt er sich in seinem Zimmer ein – auf dem Bett liegend, im Sessel sitzend – grübelt und verliert sich in Erinnerungen an die Beziehung, an seine Kindheit. Er ist mit seiner Einsamkeit und den damit verbundenen Zweifeln an seinem Selbstwert, seiner Daseinsberechtigung konfrontiert. Und auch da kennzeichnen Widersprüche seine Situation:
„Einsame Menschen wissen auch etwas über das Leben! …“
Wieso sollten sie nicht? – Die Frage schoss mir beim Lesen sofort durch den Kopf. Vier Seiten später schreibt er dann folgende Sätze:
„Was ist ein Mensch allein wert, außerhalb jeder Zusammenhänge, in denen Werte entstehen und ihre Berechtigung haben?
Nichts.
Einsame Menschen wissen nichts und sind nichts wert.“
Im Grunde genommen weiß er mit sich nichts anzufangen: schreiben, notieren, was ist, verdrängen, betäuben oder wahrnehmen, was ist?
„All diese Dinge gibt es in mir und sie wollen aus mir raus und müssen umgewandelt werden in etwas.„
Ja, nur in was genau? Er hat offensichtlich noch nicht erkannt, das die Suche nach dem „Etwas“ eine lebenslange ist. Ahnen tut er es allerdings schon, wenn er am Schluss über sich sagt:
„Ich muss mich freilich zu diesem Vorläufigen verpflichten, zur Vorläufigkeit. … Ich begriff das und vergaß es sofort wieder.“
Vorläufig, unstrukturiert, assoziativ, mosaikartig sind dann auch seine Aufzeichnungen, die auf einer Seite manchmal nur einen Satz festhalten, gefolgt von seitenlangen Darstellungen. Einen inhaltlichen roten Erzählfaden gibt es in dem Sinne nicht. Wie auch, wenn die Suche nach etwas so unklar ist. Insofern passen Form und Inhalt zusammen. Die Sprache spiegelt oftmals Jugendsprech wider.
Es ist die Geschichte eines jungen Mannes, der sich erst im Nachhinein über den „verqueren Ausgangspunkt“ seiner Beziehung klar wird:
„Meine Sehnsucht und deine Eitelkeit sind bestimmt von Anfang an untrennbar mit einander verflochten gewesen: Dass ich dich ansehen will, dass du angesehen werden willst.“
Kenneth Moe, Rastlos, Roman a.d. Norwegischen v. Alexander Sitzmann, Residenz Verlag, Salzburg, Wien 2022, 109 S., ISBN 978-3-7017 1756 9
2 Gedanken zu „Kenneth Moe, Rastlos“
danke für die rezension.
es ist ja vielleicht albern, aber das cover gefällt mir sehr!
die worte haben auch einen sog, der absatz, den du vorangestellt hast, fesselt mich sogar. aber ich glaube, das ganze buch könnt ich grad nicht lesen.
liebe grüße
Sylvia
Das Cover spricht Bände – wie man so schön sagt.
Aber da gibt es ja auch kein MUSS –
an manchen Stellen habe ich gefühlt in einen Spiegel meiner Vergangenheit schauen können, die allerdings unwiederbringlich vorbei ist.
Und das ist auch gut so, es ist gleichzeitig auch ein guter Gradmesser für eigene Veränderungen ;)
Herzliche Grüße