Liat Elkayam, Aber die Nacht ist noch jung

Liat Elkayam, Aber die Nacht ist noch jung

„Aber die Nacht ist noch jung“ ist ein Roman über eine junge Frau in drei wichtigen Lebensstationen, durch den sich der Titel als Motiv hindurchzieht. Ihre Hochzeit, FLITTER, die Frühgeburt ihrer Tochter, DIE SÄUGER-MASCHINE, und ein Abend mit einem Kollegen in einer Disko, CLUBE LOVE LIMBO, zwei Jahre nach der Geburt ihrer Tochter, werden aus unterschiedlichen Perspektiven erzählt, meist seltsam distanziert, weit weg von jeglichem romantischen Klischee, das sich um Hochzeit und Geburt ranken könnte:

„Sie war überglücklich, dass sie die Hochzeit hinter sich hatte.“
„Sie hatte großen Durst, wollte aber nicht um etwas zu trinken bitten, aus Angst, wieder auf die Toilette zu müssen.“
So beginnen die ersten beiden Kapitel der von einem distanzierten Erzähler dargestellten Lebensstationen einer jungen Frau, die sich in ihrem Körper nicht wohl fühlt, weil er ihr nicht gehorcht, die wie besessen als Spieleentwicklerin arbeitet und zu sich selbst ein äußerst zwiegespaltenes Verhältnis hat, erkennbar auch am Wechsel der Erzählperspektive im dritten Teil des Romans:

„Ich kritisiere dich nicht. Wozu auch. Aber ein bisschen überrascht bin ich schon. Vermutlich hätte ich ahnen müssen, dass du irgendwann rebellierst; seit Jahren tust du alles, was ich dir sage – na ja fast alles. Niemand hat es gern, wenn ihm andauernd jemand vorschreibt, was er tun soll. Und du ganz bestimmt nicht. Jetzt wo du die Pille schluckst – keine gute Idee übrigens, meiner Meinung nach – , muss ich mir die riesige Kluft eingestehen, die uns voneinander trennt. Muss aufhören, diesen eklatanten Abstand zwischen uns auszublenden. Und ausgerechnet dadurch, dass ich ihm mir eingestehe, tut sich ein weites Tor auf.“

„Ich“ ist der rationale, denkende Teil, das angesprochene „Du“ der eher fühlende, körperlich empfindende Anteil, der aber widerborstig ist, sich nichts und niemandem, keiner Vorstellung beugen will und zu Unzeiten macht, was er will: etwa – kurz vor der Hochzeit – einen Pickel am Kinn zu produzieren! „Mit diesem Körper ist es unmöglich, einen Mittelweg zu finden. Und sie hat es wirklich versucht.“

Ihr Ausweg, ihre „richtige Guillotine“, die sie für sich gefunden hat sind: Gras, und „Bruder Koks“, der der beste ist: „Der schraubt ihr glatt einen neuen Kopf auf.“

Da ist es nicht verwunderlich, dass sie, die in diesem Kapitel „Schneider, die Mutter von genannt wird„, nur schwer in die Rolle der Mutter findet, zumal die Tochter eine durch einen Kaiserschnitt geholte Frühgeburt ist. Das hat zur Folge, dass die junge Frau sich einem streng reglementierten dreistündigen Rhythmus auf der Frühchen-Station unterwerfen muss, mit strengen, vorgegebenen Stillzeiten, -vorgaben, Wiege- und Besuchszeiten etc., die es sicher nicht einfacher machen, zu einem Neugeborenen mütterlichen Kontakt herzustellen.
Dieses Kapitel ist sicher auch eine indirekte Kritik an den Zuständen auf dieser Station, auf der nur von den „Frühchen“ die Rede ist, der Ablauf der Station wichtiger zu sein scheint als die Bedürfnisse der Frauen und Kinder. Doch die Protagonistin, Schneider, die Mutter von, hat auch noch keinen Namen für ihre Tochter. Sie konnte sich mit ihrem Mann nicht einigen und jetzt müssen sie sich erst einmal darauf einigen, wer der Bestimmer, die Bestimmerin sein darf.

Es ist ein Roman über eine Frau, die in sich zerrissen und gespalten ist und sich nirgends wirklich zu Hause fühlt. Wie sollte sie auch, wenn sie sich nicht einmal in ihrem Körper zu Hause fühlt, der sich dann auch nach der Geburt noch einmal sehr verändert hat. Insofern ist es ein sehr moderner, aktueller Roman, der sicher auch ältere Frauen ansprechen kann, wenn man sich denn auf die lakonische, distanzierte Art der Darstellung einlassen kann, die so besonders von einer linearen Erzählweise abweicht, Leseempfehlungen inbegriffen:
„Sollten Sie jedoch, meine Werte, Minimalismus schätzen, ist das hier vielleicht nicht die richtige Geschichte für Sie.“

Aber die Nacht ist noch jung“ – offensichtlich ein Roman, der sich an (jüngere) Frauen richtet. Viele von ihnen werden sich sicher darin wiederfinden.

Liat Elkayam, Aber die Nacht ist noch jung. Roman, Verlag Antje Kunstmann, München 2020, 404 S., ISBN 978-3-95614-383-0

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