Michela Murgia, Accabadora

Michela Murgia, Accabadora

“ ‚Hätte ich dich nur nicht bekommen, der Himmel weiß, dass drei schon genug sind in meiner Lage …‘ “ Diese „rückwirkende gedankliche Abtreibung“ gilt Maria, der vierten und jüngsten Tochter der Witwe Anna Teresa Listru. Mit sechs Jahren wird Maria zu einer fill’e anima. „So nennt man die Kinder, die zweimal geboren werden, aus der Armut einer Frau und der Unfruchtbarkeit einer anderen. In dieser zweiten Geburt wurde Maria Listru zum späten Segen für Bonaria Urrai.“ Diese  ist bereit sechzig Jahre alt und Schneiderin eines  sardischen Dorfes. Bei ihr bekommt Maria ein eigenes Bett in einem eigenen Zimmer, sie kann zur Schule gehen, auch über die ersten Jahre hinaus, und lernt von der Bonaria das Schneidern.
Ab und zu darf sie das Zimmer nicht verlassen, voll allem an Abenden, an denen die Bonaria – in der Regel nach Anbruch der Dunkelheit  – Besuch bekommt, mit dem sie dann das Haus verlässt. Irgendwann bemerkt Maria, dass tags darauf immer die Totenglocke des Dorfes läutet. Sie ahnt einen Zusammenhang, kommt aber lange nicht hinter das Geheimnis der Bonaria.
„Accabadora“ erzählt zum einen die Entwicklung Marias als Tochter zweier Mütter zur jungen Frau und thematisiert gleichzeitig – auf sehr unaufdringliche, aber nicht desto weniger eindringliche Art und Weise die Themen Adoption, Sterbehilfe und Trauer:
“ ‚Wie lange dauert eine Tauer, Tzia?‘ …
‚Was sind denn das für Fragen … die Trauer endet, wenn der Schmerz vorbei ist.‘
‚Also trägt man Trauer, um sichtbar zu machen, dass man trauert…‘, hatte Maria hinzugefügt … .
‚Nein, Maria, dazu dient die Trauer nicht. Der Schmerz ist nackt, und das Schwarze dient dazu, ihn zu bedecken, nicht ihn sichtbar zu machen.‘ “

„Accabadora“ ist ein sprachlich fein und zurückhaltend, gleichzeitig klarsichtig fomulierter Roman. Er hat mich so beeindruckt, dass ich mich auf die Suche nach weiterer Lektüre dieser mir bisher unbekannten Autorin begebe. Meinem ältesten Sohn sei dank, der es mir bei seinem letzten Besuch mitgebracht hat.

Michela Murgial, Accabadora, Roman, a.d. Italienischen v. Julika Brandestini, München 2011, 170 S. , plus Glossar der sardischen Begriffe, ISBN 978-3-423-14047-8

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