
Erinnerungen schreddern?
Gebt Euren Toten Heimrecht,
Ihr Lebendigen,
daß wir unter Euch wohnen und weilen dürfen
in hellen und dunklen Stunden.
Weint uns nicht nach,
daß jeder Freund sich scheuen muß,
von uns zu reden!
Macht, daß die Freunde ein Herz fassen,
von uns zu plaudern und zu lachen!
Gebt uns Heimrecht,
wie wir’s im Leben genossen haben.
(Walter Flex)
Was tun mit alten Tagebüchern, Briefwechseln und anderen privaten Aufzeichnungen, die einem wichtig waren und oder noch immer sind – im Bewusstsein der eigenen Endlichkeit? Die Frage habe ich für mich noch nicht stringent beantwortet. Ich finde nach und nach Lösungen für Teile dieser Sammlung ;)
Ich habe mich jetzt – schweren Herzens – dazu entschlossen, den Briefwechsel mit einem langjährigen, bereits vor Jahren verstorbenen Freundes, Wegbegleiters und lange Zeit auch Lebensankers in Notzeiten zu entsorgen:

Das Herz beschwert hat so einiges:
– das Wissen, dass die Zeit, die vor mir liegt ist um sooo viel kürzer, als die die hinter mir liegt.
Es war aber auch eine emotional sehr schwere Zeit, in der mir Johannes immer wieder – telefonisch und auch per Brief – Mut gemacht hat, meinen Weg zu gehen.
Das hat die Schwere dann ein wenig aufgewogen. Denn die lasse ich jetzt hinter mir, um der Leichtigkeit Platz zu machen.
Das Schreddern wurde so auch zunehmend Ausdruck der Erleichterung, diesen Abschnitt meines Lebens hinter mir gelassen zu haben und nun so ziemlich anders in die mir noch verbleibende Zukunft zu schauen und mein Leben mehr im Einklang mit mir selbst genießen zu können. Und Johannes ist mit seinem laut klingenden Lachen immer wieder dabei.
Die immer noch vorhandene Traurigkeit, dass er nicht mehr da ist, konnte ich während des Schredderns in Dankbarkeit für seine Freundschaft, sein Dagewesensein umwandeln.
Er war zudem für mich einpositives Beispiel für katholisches Bodenpersonal, der sich allerdings auch zunehmend der strengen, limitierenden Lebensweise als Franziskanermönch im Kloster entzogen hat. Er war ein Frei-Geist und darin mir Vorbild.
Mein Schredder hatte echt zu tun, ist zwischendurch immer wieder heiß gelaufen, brauchte Pausen.
Das Gesamtergebnis:

Und dann fiel mir die Nähe zu einem vor kurzem gesehenen Objekt auf – gesehen in einer Ausstellung der Villa Hügel in Essen, in der geschredertes Papier in einem durchsichtigen Plastik eines (Frauen) Fußes ausgestellt war.
Da ich nicht weiß, ob die Veröffentlichung eines Fotos hier rechtliche Konsequenzen nach sich ziehen würde, verzichte ich darauf und überlasse es eurer Fantasie, es sich vorzustellen.
6 Gedanken zu „Erinnerungen schreddern?“
Ich denke, das ist nicht die schlechteste Art, solche Briefe aus der eigenen Verantwortung respektvoll zu entlassen.
Und die Erinnerungen sind in den dekorativen Schnipseln auch bestens aufgehoben.
Einen lieben Gruss zu dir,
Brigitte
Ich könnte ja ein paar davon Dekoration in einem Glasgefäß aufbewahren;)
Sommerliche Grüße aus Speckhorn
Ja, das wäre doch eine prima Idee.
Nochmals liebe Grüsse.
Oh ja, so sieht es bei mir derzeit auch aus.
Auch ich trenne mich von Briefen und Notizen, manches werde ich wohl auch dem Feuer übergeben, da das Schreddern zu umständlich wäre. Tagebücher werden eines Tages auch folgen.
Ich kann es sehr gut nachvollziehen, dass dem Schreddern Dankbarkeit folgt, wie Du es beschreibst.
Liebe Vormittagsgrüße nach Speckhorn
Die Alternative des Feuers habe ich auch schon ausprobiert. Für mich eher im Winter passend, da heizt es dann mein Wohnzimmer ;)
Die Feuerschale im Sommer ist mir ein wenig zu risikoreich.
Hab einen zauberhaften Sommertag.
ich finde das gut, sich beizeiten von diesen erinnerungshilfen zu verabschieden. – mit dem älter-werden ist mir bewusst geworden, dass alle diese dinge, aber auch fotos und briefe ihren wert ja nur in kombination mit mir haben, weil ja nur ich etwas konkretes, erlebtes mit ihnen verbinde. wenn das leben ins letzte drittel (ich bin mal optimistisch :)) ) geht, kann man durchaus anfangen, den nachfahren die entsorgungsarbeit ein wenig abzunehmen …
liebe grüße, andrea