Niroz Malek, Der Spaziergänger von Aleppo

Niroz Malek, Der Spaziergänger von Aleppo

Dieser Erzählband enthält 57 Miniaturen über Aleppo in Zeiten des Krieges, Geschichten, in denen sich Realität und Träume, Gedanken über Literatur, Malerei und Visionen vermischen. In ihnen erzählt der Autor – leise, subtil und verstörend und dennoch überaus poetisch – die grausamen, menschenverachtenden Auswirkungen des Krieges, auf den Alltag der betroffenen Menschen und ihre Beziehungen zueinander.

So wünscht er sich so sehr, wieder einen Spaziergang machen zu können, ohne einen Checkpoint passieren zu müssen. Als unbedarfter Leser, der mit diesen Checkpoints keine praktischen Erfahrungen gemacht hat, denkt man zunächst nur an die Unannehmlichkeiten, die diese Kontrollen mit sich bringen.

Doch diverse Erzählungen zeigen auf, dass es lebensbedrohliche Stationen sind, die einen unvorhersehbar, willkürlich und aus bloßer Laune der Soldaten heraus das Leben kosten können, darunter auch völlig unschuldige, ja hilfsbedürftige Personen:

„Die Szene spielte sich so nah vor mir ab, daß ich, als ich meine Hand ausstreckte, den Jungen und den Vermummten voneinander trennen konnte. Ich rief und nannte ihn gegen meinen Willen >mein Sohn<: >Laß ihn in Ruhe, er ist mongoloid!< aber er prügelte weiter auf den Jungen ein, nachdem er mir einen so zornigen Blick zugeworfen hatte, daß ich um mich selbst Angst bekam. Trotzdem rief ich noch einmal:>Er ist mongoloid! Hast du noch nie von dieser Krankheit gehört?< Ich hatte den Eindruck, daß er tatsächlich noch nicht davon gehört hatte, denn er schlug weiter mit dem Gewehrkolben auf den Jungen ein. Dann schleifte er ihn zur Mauer und brüllte: >Bleib hier stehen. Beweg dich bloß nicht vom Fleck!< Da hörte der Junge plötzlich auf zu weinen und rannte so schnell er konnte los. Doch er kam nicht weit, denn eine Salve von Schüssen streckte ihn nieder ..."

Doch auch die ganz normalen menschlichen Sehnsüchte – auch die der Soldaten – finden Gehör in den Miniaturen, die sich auf einen unbeschwerten Spaziergang im Park beziehen, der mittlerweile keiner mehr ist, weil alle Bäume zum Heizen abgeholzt sind, auf zwangloses Beisammensein in Cafés und natürlich auf die Liebe, die selbstverständlich auch in den Zeiten des Krieges zum Ausdruck gebracht werden und leben will.

Der Autor hat sich stets als „Sohn des Friedens“ erlebt und muss entsetzt feststellen, dass im Krieg lebt, den er „ohne Übertreibung und Zögern“ als dritten Weltkrieg bezeichnet. „Ich bin nun der Sohn eines äußerst grausamen Krieges, den die Syrer derzeit erleben.“

Die Frage, weshalb er nicht bereits geflohen ist wie viele andere Syrer auch, beantwortet er in der ersten Erzählung „Der Dialog des Spaziergängers“ so:

“ ‚Kann ein Körper ohne Seele leben? aus diesem Grund werde ich meine Wohnung nicht verlassen: Weil ich meine Seele nicht in einen noch so großen Koffer stopfen kann. Meine Seele ist all das, was du in meinem Zimmer siehst … Tausende Bücher. Hunderte Schallplatten, Zeichnungen, Gemälde und Photographien.‘ Ich sagte zu ihr:‘ Geh du, rette du dich. Aber ich bleibe hier, in meiner Wohnung, solange meine Seele weiterlebt.‘ „

Und so geht er weiter unter Lebensgefahr durch Aleppo, trifft sich mit den noch verbliebenen Freunden in Cafés, übersteht diverse Angriffe in seiner Wohnung und schreibt darüber. Das lesenswerte, berührende, weil nahegehende Ergebnis liegt nun vor.

Niroz Malek, Der Spaziergänger von Aleppo, mit einem Nachwort des Autors, a.d. Arabischen v. Larissa Bender, Weidle Verlag, Bonn 2017, 137 S., ISBN 978-3-938803-83-7

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