Robert Hültner, Lazare und der tote Mann am Strand

Robert Hültner, Lazare und der tote Mann am Strand


Pablo Fernadez heißt der tote Mann am Strand, ein Gitane. Eine Tatsache, die vermuten lässt, dass der Tote entweder eines der vielen Opfer bei Streitigkeiten der Gitanes untereinander ist oder von in der Gegend lebenden Anhängern des Front National, die davon überzeugt sind, dass Gitanes in der Gegend von Sète, dem Venedig Südfrankreichs, nichts zu suchen haben.

Warum für die Aufklärung dieses in dieser Gegend nicht ungewöhnlichen Unfalltodes Commandant Narciso Lazare aus Montpelier eingeschaltet wird, will den örtlichen Beamten des Kommissariats von Séte nicht einleuchten:
„Unfälle, wie diesen haben wir öfters.“ Entsprechend misstrauisch begegnen sich sich dann auch. Doch Lazare lässt sich nicht in die Karten schauen. Auch der Leser tappt lange Zeit im Dunkeln. Denn neben dem Toten am Strand gibt es ungeklärte Anschläge, bei denen ein Mensch ums Leben kommt, andere ihr Dach über dem Kopf verlieren, weil ihr Haus bei einer Gasexplosion vollständig zerstört worden ist. Allesamt Personen, die sich gegen den Ausverkauf der Landschaft durch Spekulanten sträuben.

Ja, und dann tauchen da auch noch zwei deutsche Kriminalbeamte auf, die einen inhaftierten Neonazi nach Deutschland überführen sollen. Narciso Lazare sträubt sich gegen eine sofortige Überführung und verlangt, dass der Deutsche von ihm noch einmal verhört werden muss.
Zusätzlich erhalten diese Handlungsstränge weitere Brisanz, da schon nach kurzer Zeit klar ist, dass es im Kommissariat von Sète mindestens einen Maulwurf gibt. Commandant Danard macht auch keinen sehr Vertrauen erweckenden Eindruck, ohne dass man genau angeben könnte weshalb.

Doch auch damit noch nicht genug. Lazard, von dem man privat nicht sehr viel weiß, bekommt durch seinen eigensinnigen, altersstarren Onkel Schwierigkeiten und nimmt Kontakt zu einem ehemaligen Kollegen auf, der in dem Ganzen ebenfalls eine undurchsichtige Rolle spielt.

Es ist ein hochkomplexer Kriminalroman mit vielen zunächst voneinander unabhängigen Handlungssträngen, die zudem aus unterschiedlichen – entsprechend eingeschränkten – Perspektiven erzählt werden, was ein Aufgebot zahlreicher Personen zur Folge hat. Als Leser muss man schon „dranbleiben“, um nicht den Überblick über die Personenkonstellation zu verlieren und den Durchblick zu verlieren, soweit einem dieser überhaupt gestattet wird.

Diese Undurchsichtigkeit und Vielschichtigkeit der einzelnen Handlungsstränge sind Abbild einer zunehmend komplexeren Wirklichkeit, in der immer mehr Menschen aus politischen, ideologischen, oder egoistischen Motiven heraus ihre Strippen im Verborgenen ziehen. Letztendlich geht es um nicht weniger als Korruption, Prostitution, Spekulantentum, „gewürzt“ mit politischen Aspekten, die bis in die jüngste Vergangenheit Frankreichs und Deutschlands reichen, immer noch Auswirkungen bis in die Gegenwart beider Länder haben und leider zunehmend „hoffähig“ werden, d.h. gesellschaftliche Akzeptanz erhalten, wie Wahlen in fast allen europäischen Ländern der letzen Jahre zeigen, in der die Rechten und Nationalen erheblichen Aufwind erhalten haben.

„Die Bosse im Hintergrund befehligten einen Trupp hartgesottener Burschen, der zum Einsatz kam, wenn sich Widerspenstigkeit abzeichnete, sei es bei den Konkurrenten, bei den Frauen und den Strichern, bei störrischen Freiern, übereifrigen Polizisten, allzu neugierigen Journalisten oder Politikern. Vor diesen Burschen musste man au der Hut sein. Sie setzten in idiotischer Sorglosigkeit sofort alles auf eine Karte. … Das machte sie so gefährlich. Weil Idioten schon allein deshalb siegen konnten, weil sie zu dumm waren, sich eine Niederlage überhaupt vorstellen zu können.“

Hültners neuer Krimi mit Lazare ist ein in jeder Hinsicht herausfordernder Roman, dem ich viele Leser wünsche.

Robert Hültner, LAZARE und der tote Mann AM STRAND, Kriminalroman, btb Verlag, München 2017, 384 S., ISBN 978-3-442-75660-5

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