Angelika Kindt, Wenn Kinder den Kontakt abbrechen

Angelika Kindt, Wenn Kinder den Kontakt abbrechen

„Es gibt immer zwei Wahrheiten, die der Eltern und die der Kinder.“ (S. 81)
Die WDR 3 Sendung „Lebenszeichen“ vom 13.12. 2009 mit dem Titel „Gekappte Wurzeln“ lässt (erwachsene) Kinder zu Wort kommen, die den Kontakt zu ihren Eltern abgebrochen haben – für diese meist nicht verständlich, begreifbar, nachvollziehbar. Doch: „Für die Kinder ist es grundsätzlich der letzte Ausweg, der am Ende einer langen Entwicklung steht. Sie haben vieles versucht und sehen am Ende keine andere Lösung als den völligen Kontaktabbruch: um sich vor schmerzhaften Erinnerungen zu schützen und weil sich die verletzenden Muster in der Familie über die Jahre nie geändert haben. Sie gingen nicht aus Rache, sondern aus Selbstschutz. Die meisten sehen darin nach langen, zähen und ergebnislosen Kämpfen in der Familie die einzige Chance, endlich ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Manchmal nur vorübergehend, manchmal auch für immer.“ (Zitat aus dem Manuskript der Sendung)
Angelika Kindt schreibt nun als verlassene Mutter über ihre Situation, die für sie nicht fassbar, begreifbar ist. Und worüber schreibt man, wenn etwas unfassbar ist? Über die eigene (Familien-) Geschichte, über andere „Elterngeschichten“, so als könne man darin eine Lösung, eine Antwort finden. Das geht sicher nicht. Doch es lassen sich gewisse Übereinstimmungen finden, die erst einmal entlasten können. Viele Eltern überhäufen zunächst sich selbst, aber auch die „undankbaren“ Kinder, für die sie ja immer nur das Beste wollten, mit (Schuld-) Vorwürfen, oft gepaart mit einer gewissen Form von Selbstmitleid, fallen in tiefe Gefühle von Trauer, Sinnlosigkeit und Leere. Gleichzeitig entstehen sich wiederholende Gedan-kenkreisel und oft das Gefühl, die einzigen zu sein, da das Sprechen über diese Situation für viele immer noch ein mit Scham besetztes Tabu zu sein scheint ( inzwischen gibt es aber einige Foren im Internet, in denen sich betrof-fene Eltern austauschen).  Damit bricht Kindt, indem sie mit ihren Erfahrungen mit ihrer Tochter Maya an die Öffentlichkeit geht und schildert, was ihr geholfen hat, aus dem tiefen Loch nach dem Kontaktabbruch ihrer Tochter herauszukommen, die jedwede mütterliche Annäherung verweigert, nachdem sie ihrer Mutter schriftlich das „Eltern-Kind-Verhältnis“ gekündigt hat. Das allerdings wird nur in sehr rudimentären Aus-zügen veröffentlicht. Es sind letztendlich Strategien, Verhaltensweisen, die m. E. jeder Mensch entwickeln muss – es sei denn, er verfügt bereits über sie – wenn er eine Lebenskrise meistern will, indem er sie zum Anlass nimmt, sich zu entwickeln: Verantwortung für das eigene Leben zu übernehmen statt in Vorwurfshaltungen stecken zu bleiben, zu sich selbst zu stehen, auch mit dem Wissen, dass man nicht perfekt, Vergangenheit nicht rückgängig zu machen ist und offen für das zu werden, was das Leben für einen bereit hält – trotz des Verlustes – vor allem aber mit der Fähigkeit, sich selbst und anderen zu verzeihen. Dann macht die Hoffnung auf eine doch noch mögliche Wiederaufnahme des Kontaktes nicht mehr krank, sondern schließt die eigene Lebensfähigkeit und -freude mit ein.
Das Buch ist auch ein Plädoyer für klare Kommunikation, was nicht nur das miteinander Reden, sondern auch das Zuhören, das Wahrnehmen des anderen voraussetzt und die Bereitschaft, Konflikte (an-)zu erkennen und nach Lösungen zu suchen. Diese Kommunikationsfähigkeit ist offensichtlich aber vor den Kontaktabbrüchen nicht vor-handen gewesen, denn ich gehe davon aus, dass Kinder in der Regel nur aus einer inneren Not heraus, nach vielen vergeblichen Versuchen, zu Gehör zu kommen, den Kontakt abbrechen.
Am 27. Mai ist Angelika Kindt zu Gast bei Bettina Böttinger im „Kölner Treff„. Dort stellt sie persönlich ihr Buch vor, mit dem sie anderen Betroffenen helfen will.

Angelika Kindt, Wenn Kinder den Kontakt abbrechen. Hilfestellung und Strategien einer verlassenen Mutter, München 2011, 176 S., ISBN 978-3-517-08680-4

20 Gedanken zu „Angelika Kindt, Wenn Kinder den Kontakt abbrechen

  1. Das macht schon sehr betroffen, mona lisa. Es erinnert mich an einen jungen Mann, der sich im Hass so von seiner Familie losgesagt hat. Nach den vielen Jahren des Leiden haben diese Menschen fast nur noch den Blick auf das ihnen zugefügte Unrecht, in welcher Form auch immer. Dies alles ist so traurig, und wie wohl jede andere Krankheit, mit Schmerzen für die Betroffen verbunden, in der es selbst für Freunde kaum eine Möglichkeit gibt, zu helfen.

  2. Es ist vielleicht dieses Unverständnis, warum sich Menschen über so viele Jahre quälen, den Draht zueinander einfach nicht finden, was möglicherweise dir und mir meistens gelingt, mal mit spielerischer Leichtigkeit, mal auch nicht ganz so einfach. Aber ihnen ist es nicht möglich, die Brücke zu bauen. Das hat glaube ich noch nicht einmal mit fehlendem guten Willen zu tun – es ist ihnen einfach unmöglich. Und in dieser Unfähigkeit stehen sie doch meistens denen gegenüber, denen sie nah sein möchten – und nicht können.

  3. Ja Menachem, das kann ich nachvollziehen.Dann bleibt nur noch eins möglich: annehmen, was ist, wie es ist, und seinen Frieden damit finden, unabhängig von demjenigem, mit dem man Frieden finden möchte. Frieden mit sich selbst ist wohl die Voraussetzung für den Frieden mit anderen. Hört sich ziemlich einfach an! Oder? – Aber die Realität, die Umsetzung in der Wirklichkeit eines Menschen ist schwierig. Wer oder was hindert einen daran, das Einfache möglich zu machen? Der Pokal, der einem winkt, zublinzelt, ist doch so viel mehr wert als jeder noch so reale Pokal ( im Fußball,in der Formel 1 ….)

  4. mona lisa, sehr treffend schreibst Du: „Dann bleibt nur noch eins möglich: annehmen, was ist (…)“

    Und genau das habe ich vermisst als eines der Kinder, die selbst den Kontakt abgebrochen haben. Ich habe zwischenzeitlich noch einmal mit meiner Mutter gesprochen und ihr von meinem Schmerz berichtet (was Mut und Offenheit erforderte) und auch von den Gründen, warum ich den Kontakt zu ihr und meinem Vater nicht ertrage. Anstatt es zu akzeptieren ging sie in die Abwehrhaltung und beharrte darauf, man habe ja nur getan, was man konnte, wollte nur das Beste, hatte es selbst schwer, es sei doch nicht so schlimm gewesen… Es ist anscheinend vielen Eltern nicht möglich, einfach nur zu sagen „Okay, das war schmerzhaft für Dich, das sehe ich, und es tut mir Leid, dass es so war!“

    Durch ihr Verhalten im Hier und Jetzt signalisieren die Eltern den Kindern immer noch, dass sie sie nicht akzeptieren können, wie sie sind. Das vermittelt uns das Gefühl, das wir schon ohnehin so gründlich kennen und das ursächlich ist für den Kontaktabbruch: „Du bist verkehrt!!“ Was bleibt einem da noch, als die Flucht zu ergreifen?

    Meines Erachtens spricht aus dem Verhalten der Eltern eine große Selbstunsicherheit. Natürlich ist es um so schmerzhafter, wenn sich das Kind von einem entfernt, je mehr man sich über dieses definiert und durch es lebt – nicht umsonst ist die Stimme der Mütter in dieser Angelegenheit auch immer noch lauter als die der Väter. Unter den Projektionen, die daraus entstehen, haben dann die Kinder zu leiden. Und die können sich leider ihre Eltern nicht aussuchen.

    Ich finde es bemerkenswert, dass einem Menschen, der sich aus einer schädlichen Beziehung löst – sei es, weil er schikaniert wird, sei es, weil er körperliche oder sexuelle Gewalt erleiden muss – auf die Schulter geklopft wird. So jemand wird vom Umfeld oft ermutigt, und vollkommen zu Recht. Einzig, macht ein Kind dasselbe im Bezug auf die Beziehung zu seinen Eltern, dann wird wieder in voller Größe das gesellschaftliche Tabu deutlich. Eltern hat man nicht zu verlassen, nicht zu kritisieren, nicht zu meiden – im Gegenteil, hier herrscht immer noch der Gedanke vor, man sei als Kind den Eltern zu lebenslangem Dank verpflichtet, schon allein für den Umstand, auf der Welt zu sein. Wie viele Menschen kranken in ihrem Innern wohl allein daran?

    Herzliche Grüße,

    das Kind

  5. Liebes, liebenswertes Kind,
    ich kann alles, das, was du in diesem Kommentar schreibst sehr gut nachvollziehen. Die von dir genannten Gründe für die Schwierigkeiten sind ebenfalls verständlich, rational, werden sicher aber deiner emotionalen Befindlichkeit nicht gerecht. Sich hier darüber auzutauschen, scheint mir nicht sinnvoll, vielleicht aber – wenn Bedarf besteht – über meine Mail-Adresse im Impressum (bitte mit eindeutigem Betreff, da ich alle nicht zuzuordnenden Mails ungeöffnet lösche.)
    Hier noch ein Literaturhinweis (Besprechung erfolgt nach der Lektüre): Alice Miller, Die Revolte des Körpers. Diese Schrift befasst sich mit dem vierten Gebot „Du sollst deine Eltern ehren“ und deren Folgen.
    Liebe Grüße

  6. Auch ich bin ein Kind, das seine Eltern „schmählich“ verlassen hat. Meine Eltern werden mit Sicherheit in ihrem Umfeld absolute Verständnislosigkeit über diesen Schritt der undankbaren Tochter äußern, für die man ja alles getan habe.

    Dass diese undankbare Tochter im Elternhaus durch die abstruse Zwangs- und Borderlineerkrankung seiner Mutter terrorisiert und vernachlässigt wurde und in physischer und emotionaler Gefangenschaft aufwuchs, das werden meine Eltern mit Sicherheit verschweigen.
    Meine Kindheit und Jugend war ein Fall für das Jugendamt, die Misshandlung spielte sich aber so geschickt im Verborgenen ab, dass sie nach außen nicht ausreichend sichtbar wurde.

    Gerade emotionaler Missbrauch lässt sich schwer messen oder gar beweisen. Da haben verlassene Eltern leichtes Spiel, sich als Opfer ihrer Kinder darzustellen.

    Selbstverständlich lässt sich das nicht generalisieren, es gibt mit Sicherheit auch verlassene Eltern, die ihre Kinder in keinster Weise misshandelt haben.
    Meiner Meinung nach aber dürfte dieser Anteil gering sein. Normalerweise kostet es die Kinder enorme Kraft sich gegen die Eltern zu wenden und den Kontakt abzubrechen. Auch mich – obwohl misshandelt – hat dazu nur die reine Selbsterhaltung getrieben.

    Dennoch ist das alles nicht spurlos an mir vorbeigegangen. Die psychischen Folgen der konstanten Traumatisierung zuhause belasten nicht nur mich, sondern bedeuten durch eingeschränkte Arbeitsfähigkeit und Therapiekosten auch enorme Aufwendungen für unser Sozialsystem und damit für die ganze Gesellschaft. Und das wahrscheinlich noch ziemlich lange, denn ich bin – im Gegensatz zu meinen Eltern – noch jung.

  7. hallo Barbarossa, danke für deine Darstellung. Ich hoffe sehr, dass du Menschen findest, die Verständnis für deine Situation, deine Handlungsweise haben und dir dabei helfen können, heil zu werden. Vielleicht hilft dir das Buch von Alice Miller, Die Revolte des Körpers weiter, ich werde es in den nächsten Tagen hier auf diesem Blog besprechen. Sie geht auf das Tabu von Gewalt in Familien ein,zeigt Wege auf und macht Mut, sich den Traumatisie-rungen zu stellen, um in ein authentisches Leben zu finden.
    Liebe Grüße

  8. Alice Miller – ich finde, ihr würde ein Freud-Bekanntheitsgrad sehr, sehr gut tun, bzw. sie noch MEHR würdigen….aber sie bringt Dinge ans Licht, die fast alle lieber unter dem Teppich halten…

  9. diese art vonFamiliendrama ist oft eine Folge von NPD, Narzisstische Personlichkeitsstorung, die das Elternteil oder Kind betrifft. wie schon Freud gescrieben hat ruft eın Ubermass an Zuwendung oder Disziplin dieses Syndrome hervor. Diese Personlichkeit ist manipulativ, gierig, aggressiv, beleidigend, emotionsarm. Psychotherapie bringt meist nichts. AucH die besten Absichten im Leben sind manchmal erfolglos und man muss das annehmen.

  10. Angela, deinen Kommentar verstehe ich nicht, was hat die NPD mit Persönlichkeitsstörungen zu tun, mit einem Übermaß an Zuwendung (gibt es das überhaupt?)Ich weiß nicht, welche Erfahrungen du gemacht hast, es scheinen nicht die besten gewesen zu sein.

  11. Hallo an alle wortlosen Wanderer!
    Ich möchte euch allen nur sagen die ihre eltern Wortlos verlassen haben, das ist das allerschlimmste was ihr ihnen als Strafe zukommen lasst!
    Ihr mögt Macht ausüben und richtet damit die Seelen zugrunde!
    Warum kann man nicht versuchen miteiander zu reden?
    Die Probleme lösen sich doch nicht in Luft auf wenn man verschindet? Wie kann man da glücklich werden?
    Ich kenne das Leid dieser Mütter, denn ich spreche mit vielen darüber! Sie sind verurteilt in ewiger Grübelei! Ist es denn nicht auch so das dieses Thema
    ein ewig währender Kreislauf ist der Generationen?
    Ich spreche vor allem jene Menschen an die „nicht misshandelt wurden!“ Das verstehe ich auch da man dann irghendwann geht! Ich spreche vor allem jene Menschen an die aus verletzem Stolz und Streitigkeiten, Missverständnissen einfach trauernde Eltern zurücklassen! Das ist einfach „unmenschlich!“
    Keiner kann damit glücklich werden! Es wird auch die die Verlassen immer verfolgen! Geht doch alle aufeinander zu, versucht es wenigstens!

  12. Hallo an alle wortlosen Wanderer!
    Ich möchte euch allen nur sagen die ihre Eltern wortlos verlassen haben, dass ist das Allerschlimmste, was ihr ihnen als Strafe zukommen lasst!Ihr mögt Macht ausüben und richtet damit die Seelen zugrunde!
    Warum kann man nicht versuchen miteiander zu reden?
    Die Probleme lösen sich doch nicht in Luft auf wenn man verschindet? Wie kann man da glücklich werden?
    Ich kenne das Leid dieser Mütter, denn ich spreche mit vielen darüber! Sie sind verurteilt in ewiger Grübelei! Ist es denn nicht auch so das dieses Thema
    ein ewig währender Kreislauf ist der Generationen?
    Ich spreche vor allem jene Menschen an die „nicht misshandelt wurden!“ Das verstehe ich auch da man dann irghendwann geht! Ich spreche vor allem jene Menschen an die aus verletzem Stolz und Streitigkeiten, Missverständnissen einfach trauernde Eltern zurücklassen! Das ist einfach „unmenschlich!“
    Keiner kann damit glücklich werden! Es wird auch die die Verlassen immer verfolgen! Geht doch alle aufeinander zu, versucht es wenigstens!

  13. @Senia, ob’s wortlose Wanderer sind, weiß ich nicht, es sind auf jeden Fall stille, verstummte Wanderer, deren Worte vorher oftmals nicht gehört oder zur Kenntnis genommen worden sind.
    Weshalb sollen sie da noch reden?
    Die Macht, eine Seele zu vernichten, haben diese Wanderer auch nur, wenn es die anderen zulassen
    und: zu ewiger Grübelei ist auch keiner verurteilt. Diese Mütter/ Eltern sind doch keine willenlosen Wesen, die einfach nur leiden.
    Und worüber grübeln sie? Was tun sie, um einen konstruktiven Dialog zu ermöglichen? Darüber nachzudenken ist sicher sinnvoller, als zu grübeln und im (Selbst -) Mitleid zu zerfließen.

  14. Auch bei uns haben zwei von den drei Kindern den Kontakt abgebrochen. Seit unsere Älteste 16 wurde, begann die Zeit, wo wir versucht haben die Beziehung zu retten. Es gaben Zeiten wo wir glaubten es wird. Was mir an den ganzen weh tut, die Eltern sind die Angeklagten, egal was sie tuen oder sagen – die Eltern sind das Böse. Jesus hatte 12 Jünger und einer war Verräter, die andere 11 haben ihr Leben für den Glauben an Jesu hingegeben. Genau so bei den Eltern, es gibt Eltern die Schlimmes getan haben, aber die Mehrheit ist bereit ihr Leben für ihre Kinder hingeben. Aber das ist egal, entweder hat man zu viel oder zu wenig getan. Alle diejenige die so gerne richten die Eltern, vergessen sich zu fragen , bin ich ehrlich gegenüber mir selbst und zu den Eltern, wenn ich Kontakt zu meinen Eltern abbreche., oder mache ich mir was vor .

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