Zeruya Shalev, Nicht ich

Zeruya Shalev, Nicht ich

Im Vorwort erzählt die Autorin, wie dieser Roman, ihr Erstlingswerk, entstanden ist, bzw. sie damit begonnen hat: Sie war im Dezember 1991 mit einem Autor, dessen Manuskript sie damals betreut hat, in einem Café verabredet, der sich aber verspätete und ihr nicht Bescheid geben konnte, da es damals noch keine Mobiltelefone gab.
So begann sie während der Wartezeit zu schreiben: Über eine nicht namentlich genannte junge Frau, die anscheinend ihren Mann und ihre etwa fünfjährige Tochter für einen Geliebten verlässt. Das ist aber auch das Einzige, was klar zu sein scheint.
Die Versionen ihrer Geschichte, die sie dann den Leser*innen auftischt, ist immer wieder anders, teils sich ergänzend, dann aber auch völlig widersprüchlich, „eine absurder als die andere“. Den Versuch, eine klar nachvollziehbare Logik zu erkennen, muss man als Leser*in schnell aufgeben. Entweder man überlässt sich dem Strom des assoziativen Erzählens oder man gibt auf, weil es da nicht wirklich etwas zu verstehen bzw. nachzuvollziehen gibt.

Der innere Klappentext bringt es so auf den Punkt:
„Der Spiegel, den sie sich erzählend vorhält, scheint in Stücke gesprungen und in jeder Scherbe schillert eine andere Version.“

Die Autorin selbst ist entsetzt über das, was sie da schreibt, bleibt aber dran und gibt sich „mit Neugierde und Schmerzen dieser Figur hin, die aus mir herausschrie, dieser wilden, jungen Frau, die sich gegen ihre Mutterpflichten auflehnt, die Konventionen durchbricht und der zum Schluss von all ihren Beziehungen nichts bleibt.“

Deutlich aber wird die Verzweiflung der Ich-Erzählerin, nicht gesehen zu werden, die anderen aber auch nicht wesenhaft sehen und erkennen können. Es ist zudem eine Auseinandersetzung, eine Art Abrechnung mit den Eltern, vor allem mit dem Vater.

„Es ist an der Zeit, dass ich verstehe, woran ich bin. Und wenn ihr hinter mir steht, dann möchte ich das bitte auch spüren und zwar eindeutig.“

Assoziationen haben offensichtliche Bezüge zur israelischen Geschichte und Gesellschaft, erschließen sich einem/r europäischen Leser*in aber nicht unmittelbar. Man bleibt auf Spekulationen angewiesen.

Zum Schluss könnte man den Eindruck haben, die Ich-Erzählerin habe sich über das Erzählen der eigenen Geschichte in all ihren Facetten, aus dieser insoweit befreit, dass bereit ist:

„am Fluss zu sitzen, unter den kahlen Bäumen, mit geschlossenen Lippen werd ich dort sitzen und alles noch mal von vorne lernen.“

Man kann es nur für sie hoffen, denn die im Roman erzählten Aspekte ihres Lebens sind in ihrer Verzweiflung, Traurig- und Hoffnungslosigkeit, in ihrer Verlassenheit, Angst und Wut sicherlich langfristig nicht unbeschadet auszuhalten.

„Nicht ich“ ist ein sehr ungewöhnlicher, nicht einfach zu lesender Roman, der im Erscheinungsjahr 1993 in Israel Ablehnung und Verrisse zur Folge hatte, er wurde mit „Wut und Unverständnis aufgenommen … Es war wohl die mangelnde Empathie meiner Figur, die mangelnde Empathie mir gegenüber auslöste.

Erst nach ihrem siebten Roman wendet sich die Autorin wieder ihrem Erstlingswerk zu und kann mit Unterstützung ihrer deutschen Lekror*innen „ihm jene mütterliche Zuwendung zukommen lassen, die ich ihm damals nicht hatte geben können.“

Zeruya Shalev, Nicht ich, Roman, a.d. Hebräischen v. Anne Birkenhauer, Berlin Verlag, Berlin/München 2024, 208 S., ISBN 987-3-8270-1476-4

2 Gedanken zu „Zeruya Shalev, Nicht ich

  1. Wahrscheinlich käme ich mit diesem Buch nicht zurecht.
    Fein, dass du dich damit auseinander gesetzt hast.
    Das bewundere ich (unter anderem) an dir.
    Einen lieben Gruss,
    Brigitte

    1. Es ist jedenfalls keine Lektüre zum Entspannen oder einfach mal für zwischendurch ;)
      Nur stelle ich hier keine Bücher vor, die ich nich ganz gelesen habe. Das fände ich unredlich.
      Liebe Grüße

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