Amanda Cross, Thebanischer Tod
Nun liegt der dritte Fall Kate Fanslers von Amanda Cross vor, gerade im Dörlemann Verlag erschienen. Mittlerweile ist Kate Fansler mit ihrem langjährigen Freund Reed Amhearst verheiratet und nimmt ein Freisemester in Anspruch, als sie den Anruf von Miss Tyringham, der Direktorin des Theban, einer exklusiven privaten Mädchenschule in New York, bekommt, deren Schülerin auch sie einmal gewesen ist.
Sie wird gebeten, einen Literaturkurs in der Oberstufe zu übernehmen, da die eigentliche Lehrerin unvorhergesehen wegen Krankheit ausfällt. Thema des Kurses ist die „Antigone“ von Sophokles.
Bevor Kate von Bildern der eigenen Schulzeit überrollt wird, stellt sie klar, dass sie in beruflichen Zusammenhängen weiterhin als Miss Kate Fansler angesprochen werden will, „falls die Schüler ihre Lehrer überhaupt noch mit dem Nachnamen anreden.“
Denn es ist in den USA die Zeit der Antikriegsunruhen und gesellschaftlichen Jugendrevolution in den Sechzigern des letzten Jahrhunderts, die sich in verschiedenen Formen des Widerstandes gegen das Establishment zeigt: in nachlässiger Kleidung, bewussten Unhöflichkeiten und Provokationen, in provokantem Drogenkonsum, Zweifeln an dem, was die Gesellschaft – unausgesprochen – von Jugendlichen erwartet, bis hin zu Kriegsverweigerungen.
Da bleiben Konflikte auch an dieser Schule nicht aus. Mit entsprechendem „Bauchgrummeln“ beginnt Kate mit ihrem Unterricht und kommt – trotz diverser Vorbehalte und unverhohlenem Misstrauen auf Seiten der Schülerinnen – gut an. Sie nimmt ihre Schülerinnen wahr, nimmt sie ernst, bezieht sie in die Gestaltung des Unterrichts mit ein und ist geschickt darin, „Fallstricke“ wahrzunehmen und diplomatisch mit ihnen umzugehen.
Doch dann passieren ungewöhnliche Ereignisse: Patrick, der Bruder von Angelica, einer Schülerin aus Kates Kurs, stürzt und erleidet Kopfverletzungen, für die man zwei Dobermännerhündinnen verantwortlich macht, die als Bewachung der Schule eingesetzt werden, nachdem dort mehrfach eingebrochen worden ist. Nur kurz danach findet man eine Leiche im Zeichensaal: die Mutter der beiden Geschwister Patrick und Angelica.
Jetzt ist mal wieder Kates Spürsinn gefragt, die immer noch skeptisch im Hinblick auf die Fähigkeiten der Polizei ist. Sie vertraut lieber auf ihre eigenen Fähigkeiten und die Unterstützung von Reed. Und natürlich löst sie den Fall. Was denn sonst.
Wie immer hat Amanda Cross einen unkonventionellen Kriminalroman geschrieben, den „eingefleischte“ KrimileserInnen als solchen möglicherweise gar nicht bezeichnen würden. Denn: Gespickt mit literarischen Anspielungen und Zitaten – manche Gesprächspassagen Kates bestehen fast ausschließlich aus Zitaten – bissigen Anspielungen auf die damals vorherrschenden Frauenbilder und -rollen, Argumenten und Auseinandersetzungen zwischen konservativen Bewahrern dessen, was ist – repräsentiert durch den alten Jablons, Großvater von Patrick und Angelica, der aus tief empfundener Dankbarkeit Amerika gegenüber, keinen Zweifel am Vietnamkrieg aufkommen lassen kann – und den Gegnern dieses Krieges – dafür steht sein Enkel – zeichnet dieser Roman ein aktuelles Bild der damaligen gesellschaftlichen Umstände in den USA, meist aus der Perspektive des erfolgreichen Bildungsbürgertums, also derjenigen, die es geschafft haben.
Gesellschaftliche Randgruppen kommen entsprechend auch nur als Randgruppen vor, bilden darin Realität dann auch noch einmal ab.
Gleichzeitig ist der gesamte Roman ein indirektes Plädoyer für die mögliche Aktualität antiker Stücke und der jeweils politischen, gesellschaftlichen und moralischen (Gewissens-)Konflikte, die durch sie auf der Bühne sichtbar werden. Ein Roman mit vielen Facetten und Schichten, aber kein Roman für diejenigen, die vordergründig an der Aufklärung eines Kriminalfalles interessiert sind. Das sollte man bei der Wahl berücksichtigen.
Amanda Cross, Thebanischer Tod. Kate Fansler ermittelt, Kriminalroman, a.d. Amerikanischen v. Monika Blaich u. Klaus Kamberger, Dörlemann Verlag, Zürich 2022, 288 S., ISBN 978-3-03820-990-4
4 Gedanken zu „Amanda Cross, Thebanischer Tod“
Auch wenn mich diese Thematik nicht wirklich anspricht – danke fürs Berichten.
Deine Buchbeschreibungen sind immer lesenswert und hilfreich.
Lieben Gruss in den Tag,
Brigitte
Danke dir für deine Rückmeldung.
Herzliche Grüße
Ich habe von ihr vor Kurzem „Die letzte Analyse“ gelesen und fand das Buch mehr als lesenswert und auch mehr als „nur“ Krimi. Und nehme „Thebanischer Tod“ mit auf die Wunschliste.
Liebe Grüße.
Ja, es sind Krimis für LiteraturliebhaberInnen, die sich auch vor langen Sätzen nicht „fürchten“ :-)
Herzliche Grüße