Arno Surminski, Die Vogelwelt von Auschwitz

Arno Surminski, Die Vogelwelt von Auschwitz

Der Titel dieser Novelle ist einem Aufsatz entlehnt, den ein Biologe während des 2. Weltkrieges in einer wissenschaftlichen Zeitschrift mit dem Titel „Beobachtungen über die Vogelwelt von Auschwitz“ veröffentlicht hat. Er hat als SS-Wachmann im KZ-Auschwitz von 1940-41 Dienst geleistet.

Diese (frei erfundene) Novelle erzählt von Marek Rogalski, einem jungen Kunststudenten, der aufgrund der „neuen Zeit“, die im September 1939 begonnen hat, inhaftiert und 1940 nach Auschwitz transportiert wird, ohne dass er wirklich weiß, was ihm vorgeworfen wird.

„In jenem Krieg, der in Europa wütete, verfielen sie darauf, Menschen in Verwahrung zu nehmen, nur weil sie einem bestimmten Volk, einer Klasse, einer Rasse angehörten. Oft genügte es, denken zu können. Letzteres war Rogalski zum Verhängnis geworden.“

Er hat die Chance, als Maler in Auschwitz zu arbeiten, wo es immer etwas „zu übermalen und zu vertuschen“ gab. Das Gerücht, wenn man zur Zufriedenheit arbeite, könne man Weihnachten zu Hause sein, hält ihn aufrecht:

„Ein Menschenleben ist zu kurz, um Jahre sinnlos in einem Gefangenenlager zu vergeuden, dachte Marek. Er wollte Weihnachten zu Hause sein, an irgendeinem Weihnachten.“

Das und die Hoffnung, seine Freundin wiederzusehen, geben ihm Zuversicht. Und er ergreift eine Chance, die sich ihm bietet, als der Wachmann Hans Grote seinen Kommandanten bittet, als Ornithologe die Vogelwelt „im Bereich des Lagers zu erforschen, um darüber eine wissenschaftliche Arbeit zu schreiben“. Dazu bräuchte er einen Häftling, der ihm beim Zeichen der Vögel und beim Präparieren helfen könne.

Der Kommandant gibt dem als „Freund der Wissenschaft“ statt:
„Einen Fachmann, der Mineralien sammele, gebe es schon, in der Anatomie würden auf seinen Befehl hin, die Schädel verstorbener Häftlinge vermessen und seziert, um das Hirngewicht zu registrieren. Die medizinische Abteilung erforsche die Wirkung bestimmter Substanzen auf den menschlichen Körper. Eine Arbeit über die Vogelwelt interessiere ihn sehr, zumal das Gebiet zwischen Sola und Weichsel der Provinz Oberschlesien zugeschlagen, also Teil des Reiches sei. … Das Dorf Birkenau sei von der Forschungsarbeit möglichst auszunehmen. Dort werde in nächster Zeit ein größeres Bauvorhaben beginnen; es sei keine Gegend für Vogelkunde.“

So subtil sind in der gesamten Novelle die Grausamkeiten des NS-Regimes in Auschwitz anwesend: Das allgegenwärtige menschenverachtende Grauen ist überall greifbar, ohne dass es explizit dargestellt wird, wenn erzählt wird, wie Marek Rogalski Hans Grote auf seinen Erkundungsgängen auch außerhalb des Lagers begleitet, gewarnt von Jerzy, einem Mithäftling:

„Pass nur auf, dass er dir nicht die Seele stiehlt. Mit diesen Menschen gibt es kein Zusammensein, wir dürfen sie nur hassen.“

Erzählt wird aus einer personalen Perspektive, die nahe an Marek ist, seinem Erleben, seinen Gedanken, seinen Zweifeln und Konflikten, seinen Beobachtungen Grotes und des Geschehens innnerhalb und außerhalb des Lagers, immer wieder unterbrochen von Hans Grotes Briefen an seine Frau Ines, die ein Kind von ihm erwartet, auf das er sich freut.
So wird (wieder) einmal deutlich, wie Menschen Auschwitz als Todesmaschinerie bedienen, als sei es eine ganz „normale“ Arbeit, die zur Zufriedenheit des Arbeitgebers, hier des Führers bzw. seines Stellvertreters, des Kommandanten, erledigt werden muss, wo „alles mit rechten Dingen zugeht. Bei uns wird niemand erschossen, der es nicht verdient hat“, wo es ein Vogelschutzgesetz gibt, das eingehalten wird, Menschen aber „vogelfrei“ sind.

Es ist eine eher unspektakulär geschriebene Novelle, die die Grausamkeiten der NS-Schergen, die Nöte, Ängste, Einsamkeiten und Hoffnungslosigkeiten der Häftlinge deutlich macht, ohne sie laut herauszuschreien. Doch so werden sie um so hörbarer. Ein Buch, das unter die Haut geht und lange nachwirkt.
Arno Surminski, Die Vogelwelt von Auschwitz, Novelle, 191 S., ISBN 978-3-7844-3126-0

6 Gedanken zu „Arno Surminski, Die Vogelwelt von Auschwitz

    1. Danke.
      Man könnte ja denken: Muss das sein, noch ein Roman, noch eine Novelle zu diesem Thema?
      Doch wenn man sich das Wahlverhalten inzwischen in vielen europäischen Ländern ansieht, dann ist das hier einer meiner Beiträge, auf die Folgen dieses „rechten“ Denkens, wenn es denn überhaupt Denken ist, hinzuweisen.
      Hab noch einen angenehmen Abend.

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