
Ayelet Gundar-Goshem, Ungebetene Gäste

Naomi ist eine junge Mutter, mit einem Hang zur Überbehütung. Sie genießt mit ihrem 14 Monate alten Sohn Uri die „Bande der Mutterschaft“, fühlt sich geschmeichelt und genervt zugleich, dass er letztlich nur an ihrer Brust einschläft. Sie hat ihn ständig im Blick, immer aus der Sorge heraus, es könnte ihm etwas passieren bzw. er könnte etwas umwerfen, etwas, was er anscheinend dauernd macht.
Doch im entscheidenden Augenblick hat sie ihn für einen kurzen Moment auf dem Boden abgesetzt, um in der Küche mit der Espressomaschine die Geräusche aus dem Badezimmer zu übertönen, die der arabische Arbeiter verursacht, den ihr Mann Juval zum Streichen der Wohnung engagiert hat. Genau in dem Moment hört sie Uri auf dem Balkon „plärren“. Er war auf einen dort stehenden Blumenkübel geklettert und hatte sich über die Brüstung gelehnt.
„Sein Geschrei gellte ihr in den Ohren, doch dann hörte sie plötzlich noch andere Schreie. Sie packte das tobende Kind fester und blickte über die Brüstung.
Ein Mann lag bäuchlings unten vor dem Haus, das Gesicht auf dem Gehsteig. Ein roter Fleck hatte sich um seinen Kopf gebildet … die heisere Stimme des Nachbarn von unten. Man hat ihm einen Hammer an den Kopf geworfen! … Araber renovieren im fünften Stock! … Ruft die Polizei, das ist ein Anschlag!“
Naomi ist sofort klar, dass ihr Sohn Uri den Hammer des arabischen Arbeiters über die Brüstung geworfen haben muss. Aber sie unternimmt nichts, als Polizisten den Araber festnehmen und abführen. Auch ihrem Mann Juval erzählt sie zunächst nichts, was – nicht weiter verwunderlich – zu Missverständnissen und Komplikationen führt z.B. als der Sohn des Arbeiters plötzlich in der Wohnung steht, weil er seinen Vater abholen bzw. ihm etwas zu essen bringen will.
Und dann gibt es einen Zeitsprung in der Handlung. Naomi, ihr Mann Juval und Uri leben inzwischen nicht mehr in Tel Aviv, sondern in Lagos, weil Juval dort mehr Geld als in Israel verdient, was sie gut gebrauchen können, da sie einen teuren Rechtsanwalt eingeschaltet haben, der Naomi vor Gericht vertreten soll. Denn irgendwann hat sie es nicht mehr aushalten können, dass der Araber im Gefängnis sitzt und für etwas verurteilt werden soll, was er nicht getan hat. Und dennoch wird dieser verurteilt, allerdings nicht mehr für einen terroristischen Anschlag. Somit steht er aber seiner Familie nicht mehr als Ernährer zur Verfügung.
Seit dem Hammerwurf schläft Uri sehr schlecht und wacht ständig auf. Die Eltern beschließen eine Therapeutin aufzusuchen, die ihnen von der israelischen Community empfohlen worden ist. Und siehe da – welcher Zufall – es ist Noga, eine ehemalige Freundin Juvals, von der er seiner Frau nie erzählt hat und es ihr auch jetzt nicht mitteilt.
Also ein weiteres Geheimnis, das weitreichende Folgen hat, zumal die Beziehung zwischen Juval und Noga auch eine verzwickte, belastete gewesen ist. Die Gründe dafür werden erst im Verlauf der Handlungen erkennbar. Nogas Schwierigkeiten mit einem Kind, dessen Mutter für ihn bei ihr eine Therapie möchte, eskaliert derart, dass sie beide als Patienten ablehnt, was die Mutter über diverse soziale Medien ausschlachtet und allen in Lagos wohnenden Israelis abrät, sie als Therapeutin zu wählen.
Und um das Ganze noch komplexer zu machen, werden Naomi und Juval von dem älteren Sohn des Arabers erpresst, beginnt Naomi in ihrer Isolation – sie hat keine Aufgabe, ihr Mann ist beruflich sehr eingespannt und oft länger weg – die Freundschaft zu einer Einheimischen zu genießen, die sie und ihren Mann allerdings rücksichtslos für ihre Zwecke benutzt. Noga wird von einem angeblichen Araber telefonisch bedrängt und der abgewiesene Sohn treibt ebenfalls sein Spiel mit Noga, Juval und Naomi, die er in Nogas Praxis gesehen hat.
Und das ist echt zu viel. Die gesamte Handlung ist überfrachtet: die Ehe Naomi und Juvals ist seit der Geburt des Jungen schwierig, sie findet für sich keinen angemessenen Umgang mit ihrem Sohn, hinzu kommen diverse Zufällen, Unwahrscheinlichkeiten, die das Ganze dann – zumindest für mich – unglaubwürdig macht.
Der Konflikt zwischen Israelis und Arabern wird ziemlich klischeehaft und damit auch vorhersehbar geschildert, was zwar auf die großen Schwierigkeiten und die damit verbundenen Vorurteile, Ängste und Paniken auf beiden Seiten der Bevölkerung hinweist, aber auch die Personenzeichnung kaum über Klischees hinauskommen lässt.
Gundar-Goshems Roman „Löwen wecken“ habe ich mit Begeisterung gelesen, nein „verschlungen“ und anschließend des öfteren verschenkt.
So bin ich dann auch dieses Mal gern der Empfehlung meiner Buchhändlerin gefolgt und habe den neuen Roman „Ungebetene Gäste“ gekauft und war gelinde gesagt enttäuscht. Er kommt mir wie ein verwässerter Aufguss von „Löwen wecken“ vor. Doch „Aufgüsse“ langweilen mich.
Aylet Gundar-Godshen, Ungebetene Gäste, a.d.Hebräischen v. Ruth Achlama, Zürich-Berlin 2025, 315 S., ISBN 978-3-0369-5063-1
2 Gedanken zu „Ayelet Gundar-Goshem, Ungebetene Gäste“
Ich finde auch: Was zuviel ist ist zuviel.
Und derart überfrachtete Romane waren noch nie meine Sache. Wennschon, würde ich dann bei Gelegenheit mal in „Löwen wecken“ hineinlesen.
Danke für die Besprechung und einen lieben Sonntagsgruss zu dir,
Brigitte
Weniger ist oft mehr und überzeugender ;)