Jaqueline Kornmüller, 6 aus 49

Jaqueline Kornmüller, 6 aus 49

In ihrer Novelle „Das Haus verlassen“ – so passend illustriert von Kat Menschik – geht es um den Verkauf des Hauses, in dem die Ich-Erzählerin wohnt.
Auch in diesem Roman geht es um ein Haus. Es ist das Hotel „Amalia“, das Lina leitet. Sie ist die Großmutter der Ich-Erzählerin und leidenschaftliche Lottospielerin, daher der Romantitel. Dieses Hotel ist Linas Lebens(t)raum, die als Küchenhilfe in einem Hotel begonnen hat und mit Umsicht und Weitsicht erkennt, dass die aufmerksame Arbeit für Gäste eine Möglichkeit darstellt, ihrer engen, bedrückenden Realität zu entkommen, von der sie noch am Ende ihres Lebens sagt:

„So eine Armut, wie ich sie als Kind erlebt habe, gehört verboten.“

Letztlich ist der Roman eine Hommage der Ich-Erzählerin an diese, ihre Großmutter, bei der sie aufwächst. Schon der Romanbeginn macht dies deutlich:

„Es gibt Angewohnheiten, die sich vererben. Ich schlafe mit Brille in der Hand, wie meine Großmutter. … Lina hatte ein französisches Bett. Französisch deswegen, weil es angenehm groß war, wenn man allein darin schlief, und nicht zu klein, wenn man zu zweit darin schlief. Am liebsten schlief ich allein mit ihr darin. Ich lag in der Mitte, sie am Rand. Meistens drehte sie mir den Rücken zu. Der Rücken war ein großer, runder Hügel aus warmer Haut, er war die Landschaft, durch die ich reiste. Hinter ihrem Rücken war man vor allen Unwägbarkeiten des Lebens sicher. Nichts, aber auch gar nichts konnte einem hier passieren. Und dennoch wurde mir hier alles offenbart, denn sie sprach mit mir über alles. Über wirklich alles.“

Es ist ein Roman, der sowohl den Lebenslauf der Großmutter als auch den der Ich-Erzählerin nachvollziehbar macht, da beide sehr eng miteinander verbunden sind. Dabei werden die Furchtbarkeiten der Nazi-Diktatur auch in dem Bindestrichort wie Garmisch-Patenkirchen im Roman genannt wird, nicht ausgelassen: Hotels dürfen keine Juden mehr beherbergen, müssen Angestellte jüdischer Herkunft entlassen.
Anschließend kommen die Amerikaner als Besatzer in den Ort. Auch sie bringen Veränderungen mit.
Und auch die Beziehung der Mutter – die Ich Erzählerin nennt sie stets nur „Linas Tochter“ – mit „Frankreich“ so die Bezeichnung für ihren Vater ist durch die Folgen und Wirren des Zweiten Weltkrieges kein unbelastetes, vielleicht mit einer der Gründe, weshalb Mutter und Tochter sich nicht verstehen.
So bleibt nur die Großmutter, an der „immer auch etwas Kind war, ein altes Kind“ als „grenzenlose Sicherheit“, von der sich die Ich-Erzählerin dennoch stets weiter wegbewegt z.B. als sie Ins Internat kommt.
„Immer seltener und seltener kam ich nach Hause. Erst am Ende von Linas Leben zogen sich die Kreise wieder zusammen.“ Und die Frage: „Wie wird es sein, ohne dich?“ wird aktueller.

Der Roman endet dann auch folgerichtig mit Linas Beerdigung:
„Ich legte mich hinter ihren Rücken und betrachtete jetzt den Schnee von unten. Lass uns über alles reden, sagt ich zu ihr. Über wirklich alles. Wass für ein Glück, sagte sie, es schneit.“

Welch ein Glück, als Kind eine solche Großmutter zu haben, die einem Sicherheit und ein Gefühl von Verbundenheit und Wärme vermittelt, da wo die eigenen Eltern – aus welchem Grund auch immer – dazu nicht oder nur kaum in der Lage sind.
Kat Menschik hat das Wesentliche des Romans in dem Cover zusammengebracht und zu einem unverwechselbaren Gemälde gemacht, etwas, was sie kann, für das ich sie und ihre Illustrationen bewundere. Der gesamte Roman ist auf gute Art und Weise, mit viel Tiefgang, unterhaltsam und berührend, ohne je kitschig zu werden. Ich hab ihn gern gelesen und wünsche ihm viel LeserInnen.

Jaqueline Kornmüller, 6 aus 49, Roman, Galiani Verlag, Berlin 2025, 225 S., ISBN978-3-86971-315-1

2 Gedanken zu „Jaqueline Kornmüller, 6 aus 49

  1. Danke für die schöne und wohlwollende Beschreibung des Romans.
    Die Geschichte wird darurch plastisch und erkennbar. Und das Cover tritt wirklich angenehm und für einmal etwas anders in Erscheinung.
    Lieben Morgengruss, Brigitte

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert