Meine Mutter

Meine Mutter

(Sie mochte Lilien, für sie waren es keine „Todesblumen“, die für nur für Beerdigungen geeignet waren.
Im Gegenteil: Ihr Brautstrauß war ein Lilienstrauß)

Sie wäre heute 95 geworden – meine Mutter.
Eine insgesamt schwierige Beziehung, aus denen Themen entstanden sind, die mich noch heute beschäftigen. Doch die Art der Beschäftigung hat sich verändert. Sie ist ruhiger, friedlicher geworden, auch weil ich für mich heute Dinge beim Namen nennen kann, die damals nicht gesagt werden konnten, nicht durften, ich heute bei meiner Wahrheit und Wachheit bleiben kann, ohne dafür von ihr bewertet, abgewertet werden zu können – es sei denn, mein innerer Kritiker übernimmt diese Rolle ;)

Darin ist er nämlich gut,
darin war sie auf jeden Fall Vorbild.

Und mir wird zunehmend bewusster, wie meine eigenen Beschränktheiten in meinem „Herzverschlag“ die Erziehung, die Beziehung zu meinen Söhnen beeinflusst hat, ohne dass mir das damals so bewusst gewesen wäre. Doch wenn ich davon ausgehe, dennoch mein Bestes getan zu haben, gilt das natürlich auch für meine Mutter.

Meine Mutter

Ach weh, meine Mutter reißt mich ein.
Da hab ich Stein auf Stein gelegt
und stand schon wie ein kleines Haus,
um das sich groß der Tag bewegt; sogar allein.
Nun kommt die Mutter, kommt und reißt mich ein.
Sie reißt mich ein, indem sie kommt und schaut.
sie sieht nicht, dass da einer baut.
Sie geht mir mitten durch die Wand von Stein.
Ach wehe, meine Mutter reißt mich ein.
Die Vögel fliegen leichter um mich her;
die fremden Hunde wissen: der ist der.
Nur einzig meine Mutter kennt es nicht,
mein langsam mehr gewordenes Gesicht.
Von ihr zu mir war nie ein warmer Wind;
sie lebt nicht dorten, wo die Lüfte sind.
Sie liegt in einem hohen Herzverschlag,
und Christus kommt und wäscht sie jeden Tag.

(Rainer Maria Rilke)

8 Gedanken zu „Meine Mutter

  1. Das hört sich – auch bei Rilke – nicht wirklich berauschend an, eher traurig, tragisch.
    Mit meiner Mutter hatte ich grundsätzlich ein unbelastetes Verhältnis, wofür ich zutiefst dankbar bin. Natürlich hatten wir unterschiedliche Gesichtspunkte und Charaktereigenschaften, aber die standen nie zwischen uns.
    Schön, dass du inzwischen milder sein kannst im Urteil.
    Das ist beruhigend und heilsam.
    Einen lieben Heutegruss,
    Brigitte

  2. Ja, Hadern etc. belastet nur das eigene Leben unnötig. Doch manchmal dauert es, bis man das so richtig verstanden hat und umsetzen kann.
    „Heil ist man erst dann, wenn alles im Leben so gewesen sein darf, wie es gewesen ist.“ – hab ich mal gelesen.
    Dazu gehört für mich allerdings auch, sich die eigene Wahrnehmung, Wahrheit und Deutungshoheit nicht wegnehmen zu lassen.
    Liebe Grüße

  3. Der innere Kritiker, der innere Zensor, der innere Zerstörer … es lebt sich nicht leicht mit so einem blinden Passagier. Ich denke, dass es gut ist, wenn man ihn erst mal aus seinem Versteck holt (holen kann), das erhöht die Chancen, einander wechselseitig in aller (auch der aktuellen) Vollständigkeit sehen zu können.
    Verbundene Grüße, Andrea

  4. Diesen „blinden Passagier“ habe ich schon vor einiger Zeit entdeckt, seine Funktionen und Aufgaben erkenne ich zunehmend deutlicher und suche nach Lösungen, sinn-haft damit umzugehen ;)
    Liebe Grüße in die neue Woche

  5. Dein Post geht mir so nach – gestern habe ich ihn mehrfach aufgerufen…. mir geht es wie Brigitte – ich hatte ein liebevolles, inniges Verhältnis zu meiner Mutter – aber ich kenne da jemanden, den es sehr ansprechen wird..
    liebe Grüße von Ellen

    1. Ich kann mich mit allen darüber freuen, wenn sie ein liebevolles Verhältnis zu den Eltern hatten, ich gönne es allen und neide es niemanden. Es macht mich höchstens traurig, dass es bei mir so anders war.
      Es hatte sicher damit zu tun, dass meine Mutter ein Kriegskind war, aber nie wirklich darüber gesprochen hat. Ich habe später viel über die Kriegsgenerationen gelesen, das hat mir sehr geholfen, zu mehr Verständnis geführt und der Möglichkeit, Verhaltensweisen anders einzuordnen.
      Liebe Grüße

  6. heute war ich am grab meiner mutter, am sonntag war ihr todestag. da (und auch gestern) waren alle friedhöfe gesperrt wegen der abgerissenen äste und umgefallenen bäume. heute war für ein paar minuten frühling, sonne, stille bis auf die vögel, die rumorten. meine mutter war eine eher sanfte frau. heut seh ich sie manchmal im spiegel oder ihre hände auf meinem tisch.

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