Michael Köhlmeier, Die Verdorbenen

Michael Köhlmeier, Die Verdorbenen

„Heute habe ich einen Begriff: Unschuld. Wir sind unschuldig gewesen. Wobei die Schuld darin bestünde, nicht zu wissen, was man anderen antut.“

So beginnt Michael Köhlmeiers neuer Roman, der in den Siebzigern des letzten Jahrhunderts in der Universitätsstadt Marburg an der Lahn spielt und von Johann erzählt, einem Studenten der Germanistik und wissenschaftlichen Politik, der sich nicht wirklich für Politik interessiert, aber „für Revolten und Revolutionen“ schon, dem Marx, Lenin, Che Guevara gefallen als Ikonen der „Strenge, Gerechtigkeit und Rache“, die sich seiner Meinung nach für „eine absolute Gewissheit verbürgten.“

Man begleitet den Protagonisten bei seinen Versuchen, sich im Studium zurechtzufinden, nach Möglichkeiten Ausschau zu halten, sich zu finanzieren, da sein Vater das nicht mehr kann:

„Von da an war ich auf mich allein gestellt. Das Verhältnis zu meinem Vater entspannte sich. Seit meiner Immatrikulaton waren wir einander besserwisserisch gekommen, wann immer ein Disput zwischen uns aufkam. Das hatte uns angestrengt und verdrossen.“

In Marburg lernt er Tommy und Christiane kennen, die schon ewig ein Paar sind und ihn in ihre Beziehung einbeziehen wollen. Johann lernt die Liebe und ihre verstörenden Seiten kennen, sie leben in unterschiedlichen Konstellationen zusammen, ohne sich wirklich zu begegnen und kennenzulernen, aber auch ohne sich selbst zu kennen. Sprachlosigkeit und Einsamkeit sind vorherrschend:

“ ‚Ich muss mich umbringen.‘
‚Warum musst du dich umbringen? Steht etwas davon in dem Buch, das du da liest?‘
‚Damit ich nicht mehr bin, die ich bin.‘
Ich gebe zu, es war mir zu heikel, weiter darüber mit ihr zu sprechen. Nicht das Unberechenbare an ihr zermürbte mich, sondern das Unerklärliche.
Eines sagte ich noch: ‚Tu’s irgendwann in fünfzig Jahren, nicht jetzt.‘
Sie nickte, sagte aber nichts.“

Spannung erzeugt der Roman durch die – ziemlich zu Beginn – nur innerlich geäußerte Antwort Johanns auf die Frage seines Vaters, was sein größter Wunsch im Leben sei:

„Einmal im Leben möchte ich einen Mann töten.“

Wird es dazu kommen, vorsätzlich oder zufällig?

Es ist ein – zumindest für mich – absurder Roman, deren Figuren mir mehr oder weniger fremd bleiben, da ich ihre Gedankengänge kaum nachvollziehen kann, was dann wohl wiederum Ausdruck ihrer Abgekaspeltheit, Kontakt- und Orientierungslosigkeit ist. Sie sind Suchende, ohne zu wissen, wonach sie suchen.
Letztlich sind nur Straßen und Namen von Buchhandlungen und Kneipen konkret. Da kennt sich jemand aus, wobei ich das Lokal „Die Lokomotive“ nicht in der Oberstadt gelegen kenne. Die, die ich kenne, war in der Ketzerbach gelegen, gegenüber der Elisabethkirche.

Michael Köhlmeier, Die Verdorbenen, Roman, München 2025, 158 S., ISBN 978-3-446-28250

2 Gedanken zu „Michael Köhlmeier, Die Verdorbenen

  1. Das hört sich nicht so an, als ob ich den Roman von Köhlmeier lesen möchte, was aber nicht an deiner Besprechung liegt. :–)
    Das Verstörende und Gewalttätige in der Realität ist mir mehr als genug. Das will ich nicht auch noch als Fiktion lesen.
    Dir einen heiteren und harmlosen Tag!
    Lieben Gruss, Brigitte

  2. Ich habe im Deutschlandfunk eine Rezension gehört, die mich auf diesen Roman aufmerksam gemacht und angesprochen hat. Da ich den Schriftsteller noch nicht kannte, habe ich gedacht, hole ich mir, zumal ich zehn Jahre in Marburg gelebt habe, allerdings später.
    War dann doch nicht so mein Fall ;)
    Liebe Grüße

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