Mieko Kawakami, Brüste und Eier

Mieko Kawakami, Brüste und Eier

„Brüste und Eier“ ist der erste Roman Mieko Kawakamis. Ihr dritter „All die Liebenden der Nacht“ ist erst vor kurzem erschienen.

In beiden Romanen ist die Protagonistin eine alleinlebende, finanziell unabhängige, allerdings am Existenzminimum lebende Schriftstellerin, die sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser halten muss. Natsuko – die Ich-Erzählerin dieses Romans – lebt seit Jahren in derselben kleinen Einzimmerwohnung mit wenigen sozialen Kontakten. Allerdings fühlt sie sich eng verbunden mit ihrer Schwester Makiko und deren Tochter Midoriko, von denen sie zu Beginn der Handlung in Tokyo besucht wird. Die beiden leben noch immer in Osaka, wo Natsuko und Makiko in äußerst schwierigen Verhältnissen aufgewachsen sind.

„Wenn man wissen will, wie arm jemand war, fragt man ihn am besten, wie viele Fenster die Wohnung hatte, in der er aufgewachsen ist. Was er aß oder wie er sich kleidete, spielt keine Rolle. Um herauszufinden, wie arm jemand war, muss man ihn nach der Zahl seiner Fenster fragen. Genau, die Zahl seiner Fenster. Je weniger Fenster jemand hatte – falls er überhaupt eines hatte -, desto größer die Armut.“

Alle drei Frauen sind mit spezifisch weiblichen Themen beschäftigt. Makiko will sich zum Entsetzen ihrer Schwester und Tochter die Brüste vergrößern lassen, Midoriko ist verstört über die mit der Pubertät einhergehenden Veränderungen ihres Körpers und hat sich weitestgehend von sozialen Kontakten zurückgezogen. Seit einiger Zeit spricht sie nicht einmal mehr, sondern schreibt, wenn zwingend nötig, ihre Botschaften auf einen Zettel. Und Natsuko ist immer wieder mal mit ihrer Unfähigkeit, sexuellen Kontakt zu haben, und der sich daraus ergebenden Konsequenzen beschäftigt.

Das wird vor allem für sie zum Problem, als sie nach einiger Zeit intensiv darüber nachdenkt, ob sie nicht doch noch ein Kind will. Aber Samenspenden für alleinstehende Frauen sind in Japan offiziell nicht möglich, da verboten. In ihrer Umgebung ist sie mit sehr unterschiedlichen weiblichen Reaktionen zu ihrem Vorhaben konfrontiert, von völligem Entsetzen bis hin zur Ermutigung, sich vom Kinderwunsch nicht abhalten zu lassen.

Sie beschäftigt sich in diesem Zusammenhang zudem intensiv mit der Frage, was es mit den Kindern macht, wenn sie nicht wissen, wer ihr biologischer Vater ist. Sie geht dafür zu Versammlungen, in denen sich Betroffene über ihre Erfahrungen austauschen. Die Frage der Sinnhaftigkeit, überhaupt Kinder zu bekommen, stellt sich ebenfalls. Warum will, soll man noch Kinder in die Welt setzten?

Es ist ein vielschichtiger Roman, der sich mit den Auswirkungen der patriarchalischen japanischen Gesellschaft auf Frauen und ausschließlich aus ihrer Perspektive beschäftigt: mit weiblicher Armut, Fragen der Wertigkeit von Frauen hinsichtlich ihrer sozialen Abstammung für Beziehungen bzw. Eheschließungen, mit ihren sich verändernden Lebensweisen, mit der Rolle des (Ehe-)Mannes in der japanischen Gesellschaft und diversen Formen von Vaterlosigkeit sowie mit dem Problem verpflichtender Generationenverträge für Frauen.

Vom eher blumig anmutenden Cover des Romans sollte man sich nicht auf eine falsche Fährte locken lassen. Die am linken Rand dargestellte Gummihandschuhe tragende Hand, die eine Spritze hält, ist ein ein dezenter aber treffender Hinweis auf das Thema „Samenspende“, das einen breiten Raum im Roman einnimmt. Leicht lesbar sind LeserInnen in diesem Roman mit aktuellen schwierigen gesellschaftlichen Themen konfrontiert.

Mieko Kawakami, Brüste und Eier, Roman, a.d. Japanischen v. Katja Busson, Köln 2020, 495 S., ISBN 978-3-8321-8373-8

4 Gedanken zu „Mieko Kawakami, Brüste und Eier

  1. Danke für die Buchbesprechung dieses speziellen Buches.
    Der Titel ist für mich allerdings ein rotes Tuch, um nicht zu sagen ein No-Go. (Ich würde mich mit der Lektüre nicht an die Öffentlichkeit wagen.) ;–)
    Lieben Gruss in den schwülen Sommertag,
    Brigitte

    1. Ich habe keine Ahnung, wie der japanische Titel lautet. Aber mit der Entfernung des Schutzumschlages wäre das Problem vielleicht ein wenig entschärft ;)
      Herzliche Grüße

  2. Diese Schriftstellerin hast du schon an anderer Stelle erwähnt. Einsamkeit ist immer wieder Thema – ja auch bei Maruakami sehr stark. Die Psyche der Japaner ist in einem ganz besonders schwierigen Zustand…. (meine ich , wenn ich diese Bücher wirken lasse)
    liebe Grüße von Ellen

    1. Das scheint zu stimmen, denn auch Milena Michiko Flašar beschreibt in ihrem Roman „Oben Erde unten Himmel“, den ich im April besprochen habe, über eine junge Japanerin, die ebenfalls ohne soziale Kontakte lebt und sich bisweilen sehr einsam und von anderen abgekoppelt fühlt.
      Liebe Grüße

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