Robert Seethaler, Die Biene und der Kurt

Robert Seethaler, Die Biene und der Kurt

Bisher habe ich den „Trafikanten“, „Ein ganzes Leben“, „Der letzte Satz“ von Robert Seethaler gelesen. Jeder Roman hat eine Hauptperson, die auf sehr eigentümliche spezifische Art und Weise beschrieben ist, so als habe Seethaler für jeden Protagonisten eine ihm eigene Sprache ge-, erfunden. Auf der Suche nach weiteren Romanen bin ich auf den bereits 2006 erschienen „Die Biene und der Kurt“ gestoßen.

Der Roman hat eine Rahmen- und eine Binnenhandlung. Er beginnt mir zwei Polizisten auf Streife, einer so ganz knapp vor seiner Pensionierung – nur noch drei Wochen hat der Hermann zu arbeiten – und Leo, noch jung und sehr ehrgeizig:

„Einen Polizeibeamten in Uniform, der irgendwo am verlassenen Landstraßenrand neben seinem grün-weißlichen Polizeiauto vor sich hin tanzt, sieht man eigentlich selten. Aber das kennt man ja: Wenn sich der Dienst wieder einmal hinzieht wie ein ausgelutschter Kaugummi, kann einem schon einmal langweilig werden! Vor allem, wenn man so ein junger, irgendwohin strebender und ziemlich ehrgeiziger Polizeibeamter wie der Leo ist. Und wenn es dann auch noch so morgendlich früh ist, dass noch nicht einmal ein Traktor die Straße entlangwackelt, geschweige denn ein Auto, dann wird einem gleich noch ein bisschen langweiliger. Aber eines ist auch klar: Jeder Mensch hat einen Rhythmus in sich drinnen! Sogar ein ländlicher Polizeibeamter mit schweißigen Flecken unter den Achseln und roten Flecken im Gesicht.“

Der Herrmann merkt davon nichts, denn er döst auf dem Beifahrersitz so vor sich hin und träumt von der Zeit nach seiner Pensionierung. Keiner von beiden ahnt, was sie während ihrer Streifen noch so erleben werden. Auch der/ die LeserIn nicht. Man vergisst die beiden recht schnell, wenn man nämlich Biene Kravcek kennenlernt, eine kleine, pummelige, eigenwillige Schülerin eines katholischen Mädchenheims mit Brillengläsern so dick wie „ein hochälplerischer Bierkrugboden“. „Siebzehn Dioptrien“, hat der Augenarzt damals gesagt, als er die schwere Brille in seiner rosigen Augenarzthand ein bisschen balanciert und sie dann der kleinen Biene auf die kleine Nase gesetzt hat. Drei Jahre war sie damals als. Auch kein Alter eigentlich.“

Biene wird – wie man unschwer vorhersieht – im Internat von den anderen Mädchen gemoppt, gepiesackt und körperlich angegriffen und kein Aufsichtspersonal bekommt es mit. Auf das Kommando der Anführerin drücken zwei andere im orangefarbenen Mädchenspeisesaal Bienes Gesicht in ihren Teller mit den Erbsen und dem Erdäpfelpüree. Nachdem sie sie losgelassen haben, zerplatzt etwas in der Biene:

„So etwas kennt man ja: Wenn plötzlich irgendetwas zerplatzt, oben drinnen im Hirn oder unten drinnen im Herz, und sich ausbreitet im ganzen Körper, ganz heiß, bis in die Fingerspitzen und sogar auch bis in die Zehenspitzen hinein. Das ist die Wut.“

Und die Biene – wie sie immer nur genannt wird – wehrt sich vehement, mit aller Kraft und ihrem starken Willen. Sie greift ihre Kontrahentin mit einem Messer an, ritzt sich dann aber damit ihren Unterarm auf und schmiert der anderen ihr Blut ins Gesicht.

„Und so ein Gejohle, das da jetzt herausbricht aus all den Mädchenköpfen, so ein wildes Gekreische hat es wahrscheinlich auch noch nie gegeben in der ganzen langen Geschichte der katholischen Mädchenheimspeisesäle!
Deswegen fliegt jetzt auch mit einem ordentlichen Kracher die Saaltür auf. Und eines muss man sagen: Was da hereingestürmt kommt, das hat schon eine Wirkung!“

Die Strafe folgt auf dem Fuße, nachdem die hereinstürmende Hilfsschwester Maria Biene zur Heimleiterin Frau Kämmerle gebracht hat: Schuheputzen für alle. Zeit genug für Biene, sich zu überlegen, wie sie dem Ganzen ein Ende bereiten will. Und da tut sie. Sie flieht.

Während ihrer Flucht trifft sie auf Kurt, einen älteren, versoffenen, kiffenden und rauchenden Schlagersänger, der immer noch von einer Karriere als Rock n Roller träumt, obwohl er es in seinem Leben über Provinzauftritte in irgendwelchen ländlichen Käffern nie hinausgeschafft hat, die er mit seinem „Heartbreakin‘ Mobil“ ansteuert. Seine Sängerkluft hat auch schon bessere Tage gesehen:

„Aber die Biene … steht noch immer schief und mit offenem Mund da und schaut. Da ist etwas hineingeschossen in sie. Ins Hirn hinein. Oder ins Herz. Eine Ahnung von irgendetwas. Vielleicht ist sie aber einfach nur ziemlich geblendet von dem ganzen Glitzern.
Vielleicht sieht sie deswegen auch nicht, dass diese Hose schon ein bisschen abgewetzt ist. Nur ein bisschen, aber eben doch. Und dass vorne auf dem Hemd einer der silbrigen Knöpfe fehlt. Oder dass die Ärmel schon wirklich sehr kurz sind. Und ein bisschen angeranzt. Die Biene bemerkt auch nicht, dass an den Stiefeln schon ein paar Silberplättchen abgesprungen sind und sich stattdessen kleine schwarze Lücken auftun …“
Und die Beschreibung des Kurtschen Outfits geht noch zeilenlang weiter, seltsamerweise ohne wirklich langweilig zu werden.

Es ist der Beginn einer „wunderbaren“ Freundschaft, nein zunächst eher einer Art merkwürdiger Zweckgemeinschaft. Die Biene schafft es aber mit der Zeit, auf ihre besondere Art für den Kurt unentbehrlich zu werden, der stets in alle sichtbaren oder unsichtbaren Fettnäpfchen tritt, sich mit jedem anlegt und in seinem Suff nicht merkt, wie er sich selbst zunehmend sabotiert. Das Zusammensein in dem engen Bus geht naturgemäß nicht ohne Konflikte vonstatten, was diverse Rausschmisse der Biene etc. zur Folge hat.

Entstanden ist ein humorvoll, ironisches Roadmovie zweier liebenswürdiger Außenseiter, die trotz aller Widrigkeiten ihren Träumen folgen, oder einfach nur dem entfliehen wollen, was gerade ist. So genau wissen sie es selbst nicht. Der auktoriale Erzähler hat eine warmherzigen Nähe zu seinen Figuren, obwohl oder gerade weil er bis in die kleinsten Einzelheiten mit ihnen vertraut ist. Sie in- und auswendig zu kennen scheint, mehr als sie sich selbst.
Der Roman hat trotz aller Leichtigkeit und Kuriositäten Tiefgang. Zum Beispiel in der Charakterisierung der Personen, mit ihren gesellschaftlich bedingten Begrenzungen, ihren heimlichen Träumen und Sehnsüchten. Etwa die Heimleiterin. Mit ihrer Charakterisierung transportiert Seethaler – eindringlich, aber ohne erhobenen moralischen Zeigefinger – die Verhältnisse in diesen katholischen Heimen und die Personen, die diese Verhältnisse repräsentieren. Etwa die so strenge Heimleiterin Frau Kämmerle mit ihren heimlichen Sehnsüchten. Sie sieht Biene wieder, neben Kurt auf der Bühne, weil sie – eine Migräne vortäuschend – das Mädchenheim verlassen hat und nun Besucherin einer ländlichen Rock- und Folkverantstaltung ist, auf der Biene und Kurt das Vorprogramm sein sollen.
Für Kurt d i e Chance, die er dann aber in seinem Suff nach zwei Flaschen Whiskey einfach nur völlig vermasselt. Für Biene geht die Flucht danach weiter, denn Frau Kämmerle gibt nie auf.

Robert Seethaler, Die Biene und der Kurt, Roman, Zürich-Berlin, 14. Aufl. 2021, 287 S., ISBN 978-3-0369-5915-3

2 Gedanken zu „Robert Seethaler, Die Biene und der Kurt

  1. Da ist ordentlich Action und Spannung drin.
    Danke für die schöne Beschreibung dieser nicht alltäglichen Aussenseitergeschichte. Das hört sich wirklich lesenswert an.
    Einen herzlichen Gruss zur Wochenmitte,
    Brigitte

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