Volker Kutscher, Mitte

Volker Kutscher, Mitte

„Mitte“ ist nach „Moabit“ der zweite Band – entstanden aus der sich wunderbar ergänzenden Zusammenarbeit zwischen dem Schriftsteller Volker Kutscher und der Illustratratorin Kat Menschik – der als Erzählung in Briefen thematisch anknüpft an die Kriminalromane um Charly und Gereon Rath.

In „Moabit“ steht Charly im Mittelpunkt der Erzählung, in „Mitte“ ist es Fritze Thormann, der ehemalige Pflegesohn der beiden, der nach den Mordfällen in „Olympia“ untertauchen musste und jetzt als Friedrich Hutzke unter falschem Namen, mit falschem Pass, allein in einer Berliner Dachwohnung lebt.

„Abgesehen von meinem neuen Nachnamen bin ich ganz der Alte geblieben, obwohl schon eine Menge passiert ist in den letzten Jahren.“ schreibt er an Hannah, seine ehemalige – ebenfalls gesuchte – Mitstreiterin auf der Straße. Sie ist aus einer Irrenanstalt entflohen, wird seitdem gesucht und lebt mittlerweile in Breslau.

Seinen Lebensunterhalt verdient Fritze als Kohlenträger in einem Kohlen- und Brennstoffhandel mit der Option, nach Ostern dort eine Lehrstelle als Kaufmann zu bekommen. Er blickt zuversichtlich und optimistisch in seine Zukunft. Aktuell hat er keine Freunde, das wäre auch zu gefährlich, denn ihm ist klar, dass er vom Jugendamt gesucht wird.

So vertreibt er sich die langen, dunklen Abende – Handlungszeitraum ist der Oktober 1936 bis Dezember 1936 – mit dem Schreiben von Briefen an Hannah und Charly, in denen er ihnen von seinem Alltag erzählt. Charly hat er in Prag vermutet, erfährt allerdings über Umwege, was mit Gereon passiert ist, und dass Charly gar nicht in Prag, sondern in Berlin lebt.

Dann begegnet er bei einer Kohlenlieferung der Person, die ihn auf dem Olympiagelände weggeschickt hat, ein Messer zu holen, um Doktor Schneider vom Seil schneiden zu können. Als Fritze mit einem Messer zurückkommt ist der Doktor tot und der angebliche Retter verschwunden. Fritzes Aussagen hat man damals nicht geglaubt, aus Gründen, die er nicht nachvollziehen kann und will, ist er doch – immer noch – gefangen und begeistert von der neuen Zeit, obwohl sich leise Zweifel einschleichen:

„Ich frage mich wirklich, warum man so ein Buch (gemeint sind die „Abenteuer des braven Soldaten Schwejk während des Weltkrieges“) nur heimlich kaufen kann, ich kann darin nichts Verbotenes finden. Aber so ist es ja oft, daß man den Sinn der Gesetzt nicht versteht. Auch daß man Kästner nicht mehr lesen soll. …
Denn ich finde, der Staat kann ja vieles verbieten und muß auch vieles verbieten, aber doch bitte keine Bücher! Die tun den Menschen nichts.“

Den Ratschlägen Charlys folgt er nicht. Er hat ihr von der Begegnung erzählt und sie gebeten, als ehemalige Polizistin etwas über diesen Mann herauszufinden. Und es kommt, wie es kommen muss …

Es ist eine kleine, spannende Erzählung, die sicher dazu angetan ist, den auf den nächsten Kutscherroman wartenden Leser die Zeit ein wenig zu verkürzen und schmackhaft zu machen. Dennoch machen die Briefe des manchmal naiv und gutgläubig wirkenden Fritzes deutlich, wie weit die eigene Wahrnehmung und Deutung von Realität entfernt ist, von dem, was tatsächlich real und bedrohend ist.

Die ganz in orangegelbbraun, mit leicht lilafarbenem Touch gehaltenen Illustrationen von Kat Menschik sind passende, sinnliche Ergänzungen des Kutschertextes und dennoch in ihrer Art auch sehr selbstständig.
Eine gelungene Kombi von Text und Illustration. Auf jeden Fall: lesens- und betrachtenswert!

Volker Kutscher, Mitte, Illustrationen und Umschlaggestaltung von Kat Menschik, Galiani Verlag, Berlin 2021, 121 S., ISBN 978-3-86971-246-8

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