Welkes Blatt

Welkes Blatt

Auf der halbvergilbten Seite
liegt das dünne, gelbe Blatt,
liegt es traurig, zart und matt
wie ein Tränenblick ins Weite.
Und der Stengel ist so biegsam zart,
daß man fast des dünnen Kleides harrt,
das diese Gestalt bekleiden soll.

Und das Blatt ist wie ein Lied in Moll,
weil es an den Herbst gemahnt,
wie ein Kind, das traurig ahnt,
daß es krank ist und bald sterben soll,
ganz so süß und voll verhaltnem Weh.
So ist auch der letzte Schnee …

(Selma Meerbaum-Eisinger)

6 Gedanken zu „Welkes Blatt

  1. Auffällig ist mir immer wieder, dass so junge und von viel Horror umgebene Menschen in dieser schrecklichen Zeit von einer sehr tiefen Lebensreife zeugen.
    Gedichte von Selma Meerbaum-Eisinger fühlen sich nach einem Menschen an, der viele Jahrzehnte gelebt hat und in hohem Alter auf dieses Leben zurückblickt. Ihre Worte treffen mitten ins Herz!

  2. Manche sprechen da von „alten Seelen“ –
    vielleicht ist es tatsächlich so, dass manche Menschen am Horror – in welcher Form auch immer – nicht verzweifeln, sondern wachsen, reifen.
    Genau das interessiert mich schon sehr lange:
    Was lässt Menschen nicht verzweifeln angesichts des Grauens?
    Ich weiß es immer noch nicht wirklich.
    Nachdenkliche Grüße zu dir.

    1. Den Begriff „alte Seele“ schätze ich.
      Ich war immer auch davon inspiriert, wie z.B. Viktor Frankl seine Zeit im Konzentrationslager verbracht hat. Aber auch andere, die man weniger oder nicht kennt, die solche gewaltigen Schrecken überlebt haben und danach niemals von Hass erfüllt waren.
      Auch ich interessiere mich für die Frage, die Du Dir stellst, die Antworten sind möglicherweise vielfältig und auch sehr persönlich.
      Herzliche Grüße!

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