Arthur Miller, Fokus

Arthur Miller, Fokus

Bücher aus der Edition Büchergilde sind schon etwas Besonderes, auf jeden Fall in ihrer Ausstattung mit Lesebändchen und, wie in diesem Fall auch mit 20 zum Text passenden Illustrationen Franziska Neubert.

„Fokus“ ist der einzige Roman Arthur Millers, der eher aufgrund seiner Theaterstücke bekannt geworden ist. Der Roman ist 1945 erschienen und jetzt neu illustriert auf den Buchmarkt gekommen.

Angesichts der aktuellen politischen Veränderungen, des in vielen Ländern zu beobachtenden Rechtsrucks, hat der Roman nichts an seiner Bedeutung, an seiner Relevanz und seiner bedrückenden Wirkung auf den Leser verloren.

Lawrence Newmann ist Personalchef einer großen, bedeutenden Firma in New York, Chef einer Anzahl von Stenotypistinnen, die er hinter einer Glasscheibe sitzend bei ihrer Arbeit beobachtet und kontrolliert. Privat lebt er sehr zurückgezogen – mit seiner Mutter und der Sehnsucht nach einer Frau im Herzen – in einem kleinen Haus in einer Vorortsiedlung, in der jeder jeden kennt und weiß, wie der andere denkt und wo er politisch einzuordnen ist. Dort ist die Welt scheinbar noch in Ordnung – bis der erste Jude auftaucht.

Newmann ist einer, der sich aus allem raushält, um nicht in irgendwas hineinzugeraten, so auch, als nachts eine Frau vor seinem Haus von einem Mann bedrängt wird.

„In seinem Schlafzimmer ließ der das Fenster herunter, bis nurmehr ein schmaler Spalt offen war, durch den niemand hereinkriechen konnte. Er lag auf dem Rücken und horchte. Die Nacht war wieder ruhig geworden. Er wartete lange Zeit. Es war nichts mehr zu hören. Er schüttelte den Kopf und versuchte sich vorzustellen, welche Sorte von Frauenzimmer zu dieser Nachtstunde allein auf der Straße sein konnte. Oder wenn nicht allein, dann mit dieser Sorte von Mann. … Ihre Aussprache war für Newman ein Beweis, dass sie zu keinem guten Zweck bei Nacht unterwegs war, außerdem gab sie ihm die Überzeugung, dass sie selber auf sich Acht geben konnte, da sie ja an diese Art Behandlung gewöhnt sein musste. Die Leute aus Puerto Rico waren so etwas gewohnt. Das wusste er.“

Er will nicht wahrnehmen, verharrt in seinen von Vorurteilen geprägten Vorstellungen von Welt und blendet all das aus, was ihn scheinbar nichts angeht. Aber auch die Arbeitswelt nimmt er zunehmend nicht mehr wirklich wahr. Er hat keinen Durchblick mehr, was in der Chefetage nicht unbemerkt bleibt. Man schickt ihn zu einem Augenarzt, der ihm eine Brille verschreibt, die er von nun an ständig tragen soll.

Die Brille ist der Beginn einer zunächst unmerklichen, dann immer deutlicher werdenden Veränderung. In seinen Augen und denen der anderen wirkt er auf einmal irgendwie „jüdisch“, mit verheerenden Konsequenzen für sein Leben. Die Frage, „Wie sieht ein Jude aus?
Wie verhält er sich?“ sind zentrale, indirekt immer wieder thematisierte Fragen.

Newmans eigene mangelnde Empathie mit wie auch immer „Ausgegrenzten“ tritt ihm jetzt durch die Empathielosigkeit, Ausgrenzung und immer stärker gewalttätigen Übergriffe seiner Umgebung wie ein Spiegel vor Augen, in den er lange nicht sehen kann und will. Das Auf- und Absetzen der Brille wird zum Symbol für Newmans Hin- bzw. Wegsehen.

Nicht einmal die Begegnung und Empathie des in der Siedlung lebenden Juden, der Newman mit Fragen nach seinen konkreten Erfahrungen mit Ausgegrenzten in Verlegenheit bringt, lässt ihn umdenken. Immer noch versucht er, die „richtige“ Seite zu finden, um nicht anzuecken, nicht in irgendetwas hineingezogen zu werden, angetrieben durch seine Ehefrau, die bereits kurz nach ihrer Hochzeit enttäuscht und frustriert ist, dass sie mit Newman ihre Vorstellungen von einem Leben in Luxus und Überfluss nicht leben kann.

Doch dann wird ein Überfall nachts auf der Straße für ihn zu einem „point of no return“ und er sich entschließt sich, die Augen geöffnet zu halten und zu handeln.

Franziska Neubert illustrierte den Roman und fängt seine dunkle, bedrückende Atmosphäre ein. Sie benutzt bis zu 25, meist dunkle Farben für ihre 20 Holzschnitte. Die Figuren sind weitgehend gesichtslos. In der Regel sind sie von hinten oder von der Seite abgebildet. Einige Abbildungen kommen ganz ohne Menschen aus.

Der Leser kann sich also kein Bild von Newman und den anderen Figuren machen bzw. er ist für die eigenen Bilder, die in seinem Kopfkino entstehen, selbst verantwortlich. Eine gelungene Neuerscheinung. Wirklich lesens- und betrachtenswert.

Arthur Miller, Fokus, Mit Holzschnitten von Franziska Neubert, a.d. amerik. Engl. v. Doris Brehm, Lizenzausgabe f.d. Edition Büchergilde, Frankfurt /M. 2017, 271 S., ISBN 978-3-86406-082-3

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