
Friedrich Ani, Bullauge

„Bullauge“ ist Friedrich Anis neuer Kriminalroman. Der 54 jährige Polizist Kay Oleander ist bei einer Demonstration durch den Wurf einer Bierflasche im Gesicht schwer verletzt worden. Er hat sein linkes Auge verloren, ist für längere Zeit krankgeschrieben und soll danach Innendienst machen, da er – wie bisher – für den Streifendienst nicht mehr einsatzfähig ist.
Ihm ist, als habe ihm jemand den „Stecker“ herausgezogen, „erschöpft, ausgelaugt, zermürbt“, herausgerissen aus allem, was sein Leben bisher ausgemacht hat. Doch was war sein Leben bisher eigentlich?
„Im Durchschnitt sechs Tage die Woche verbrachte ich mit meinen Kollegen, mit zwei oder drei von ihnen auch die Abende. … In gewisser Hinsicht waren wir Freunde, alle bis auf einen Singles oder geschieden. In kritischen Nächten jammerten wir uns gegenseitig die Hucke voll. Klagten über Unmengen von Überstunden und mutlose Chefs im Präsidium. Machten uns über untertänige Kollegen lustig. In Wahrheit rissen wir selber die meiste Zeit wie ferngesteuerte Roboter unseren Dienst runter und kamen nie dazu, uns gegen beschissene Arbeitszeiten, Unterbezahlung, Unterbesetzung und die klägliche Ausstattung unserer Büros zur Wehr zu setzen.
Wir funktionierten und wurden gelobt. Funktionierten wir nicht, hagelte es Beschwerden von allen Seiten, intern und extern. Machten wir den Mund auf, verwies man uns auf den Beamtenstatus und den krisensicheren Arbeitsplatz.“
Dies alles erzählt er Silvia Glaser, einer nach einem Fahrradunfall versehrten Frau, die seitdem zum Gehen einen Stock braucht. Sie ist aktenkundig, da sie während der Demonstration, bei der Kay Oleander sein Augenlicht verloren hat, von seinen Kollegen angehalten und nach ihren Personalien gefragt worden ist, da sie eine Bierflasche wurfbereit in der Hand hielt. Oleander hat sie bei seinen eigenen Recherchen nach dem Täter, der Täterin im System der Polizei gefunden und sich spontan und ziemlich unüberlegt zu ihrer Wohnung aufgemacht. Vor dem Haus treffen die beiden aufeinander.
Auf kaum nachvollziehbare Art und Weise beginnen sie sich anzufreunden, und obschon Oleander glaubt, dass Silvia Glaser hinsichtlich ihrer Angaben zur Demonstration lügt – heimlich hält er sie sogar für die Flaschenwerferin – vertraut er ihr eine Menge privater, aber auch dienstlicher Interna an. Psychologisch nur schwer nachvollziehbar. Es sei denn, die innere und äußere Versehrtheit der beiden Personen, ihre Einsamkeit kann als verbindende Basis einer, Gemeinsamkeit angesehen werden.
Doch dann erzählt sie ihm, dass sie nach dem Unfall einen Hass auf die Polizei entwickelt und Kontakte zu Querdenkern und Leuten aus dem rechten Milieu gefunden habe. Ihr Kontaktmann sei der Lehrer Kranich, mit dem sie auch auf der Demonstration gewesen sei. Sie vermute, dass die Gruppe um diesen Lehrer ein Attentat plane. Genaueres wisse sie aber nicht. Sie wolle aussteigen, weil ihr die Leute Angst machten.
Oleander will gemeinsam mit ihr versuchen Beweise für ihren Verdacht zu finden. Mit verheerenden Folgen.
Sicherlich macht Ani mit diesem Krimi die prekäre Arbeitssituation von Polizisten, die Gefahren, denen sie ständig ausgesetzt sind, den sich daraus ergebenden Frust, die manchmal bedenkliche Kameradschaft und das letztlich Alleingelassenwerden in schwierigen Situationen deutlich. Zudem verweist der Krimi klar auf die drohende Blindheit auf dem rechten Auge der „Bull(en)augen“ – Oleander hat sein linkes Auge verloren, das rechte ist also noch funktionsfähig.
Dennoch ist die Handlung als solche, die Freundschaft zwischen Kay Oleander und Silvia Glaser, wenig glaubwürdig. Und seine Versuche, Näheres über ein mögliches Attentat herauszufinden, kommt mir ebenfalls eher dilettantisch vor. Aber vielleicht habe ich auch nur zu wenig Ahnung von Polizeiarbeit.
So faszinierend und spannend wie die bisherigen Krimis, die ich von Ani gelesen habe, ist „Bullauge“ für mich nicht gewesen.
Friedrich Ani, Bullauge, Roman, Berlin 2022, 267 S., ISBN 978-3-518-43032-3
2 Gedanken zu „Friedrich Ani, Bullauge“
Danke für diese schöne und auch kritisch hinterfragende Buchbesprechung.
Das Thema ist heutzutage wahrlich ein heisses Eisen.
Einen lieben Gruss,
Brigitte
Gern.
Es ist definitiv ein sehr aktuelles heißes Thema –
gerade in Deutschland, leider nicht nur.
Herzliche Abendgrüße