Graham Swift, Da sind wir

Graham Swift, Da sind wir

Worum geht es in diesem Roman? Die Frage ist nicht so einfach zu beantworten. „Da sind wir“ ist mit 159 Seiten zwar nur ein relativ kurzer Roman ist, aber ein sehr vielschichtiger. Eine Frau zwischen zwei Männern oder zwei Männer lieben eine Frau – wäre ein Thema, das vielleicht auf hohe Verkaufszahlen zielt, greift aber zu kurz.

Dennoch stimmt es. Jack, Conferencier in einer Show, ist mit Ronnie befreundet, der mit der attraktiven Evie, seiner Assistentin und späteren Verlobten, in der gleichen Show im Seebad Brighton der 50iger Jahre des letzten Jahrhunderts auftritt. Als Ronnies Mutter stirbt und er für ein paar Tage weg zu ihrer Beerdigung muss, werden Jack und Evie ein Paar, das dann sein gesamtes Leben zusammenbleibt. Jack hatte sich sofort in Evie verleibt und ihr im Dunkel des Zuschauerraumes oft zugesehen. Wieder zurück, weiß Ronnie sofort Bescheid, ohne dass darüber gesprochen wird.

„Ronnie hatte nichts gesagt. Er hatte Evie einfach in die Augen geblickt. Musste man dazu Zauberer sein? Und er sah, dass Evie sah, dass er es sah. Was blieb jetzt zu sagen oder zu tun? War es Zeit für ein Geständnis? Für Vorwürfe? Oder sollten sie einfach weitermachen und so tun, als wäre alles wie immer? Erbarmungsloses oder barmherziges Tun als ob, welches von beiden?“

Aber: „The show must go on.“ So arbeiten sie noch bis zum Saisonende zusammen. Und dann verschwindet Ronnie vollkommen aus Evies Leben, nicht aber aus ihren Gedanken.

Ronnies Leben wird in der Rückblende von einem auktorialen Erzähler dargelegt, der kommentierend, aber meist sehr distanziert erzählt, wie Ronnie als Kriegskind und Kind einer später alleinerziehenden Mutter aufgewachsen ist – der Vater gilt als verschollen, war aber als Seemann eh nur selten zu Hause – dann evakuiert wird und zu kinderlosen Pflegeeltern aufs Land kommt. Sie nehmen ihn herzlich auf und Ronnie kann dort die geistige Enge des Elternhauses erweitern und sich neue Lebensbereiche erschließen. Vom Pflegevater wird er in die Zauberei eingeführt. So entsteht auch der Wunsch, später einmal Zauberer zu werden.
Beim Militär lernt er Jack kennen, mit dem er dann gemeinsam in Shows auftritt und einer der Großen in seinem Metier wird.

Es bleibt in weiten Teilen dem Leser überlassen, sich das Innenleben der Personen und ihre Gefühle in den dargelegten Situationen auszumalen.

Näher kommt man allerdings der Kehrseite des glamourösen Lebens von Showleuten. Denn sie werden auch hinter der Bühne gezeigt, in ihren einfachen Lebensverhältnissen, in ihrer Einsamkeit, wenn sie nicht oder noch nicht auf der Bühne stehen:

„Jack stand in der Seitenkulisse. Er wusste, wie man das Erscheinen auf der Bühne hinauszögert, um genau die richtige Anzahl von Sekunden. … Es passierte nicht oft, aber jetzt doch. Das plötzliche flaue Gefühl im Magen, Panik, Schwindel, Abscheu. Er hatte das hier nicht nötig, er brauchte sich nicht in einen anderen zu verwandeln. Es warf die lähmende Frage auf, wer er überhaupt war, und es gab diese einfache Antwort: niemand. Er war ein Niemand.“

Swift ist in seinem Roman „Das sind wir“ gelungen, Lebensgeschichten nach und während des Zweiten Weltkrieges darzustellen in ihrer Kargheit, Verschlossenheit, ihren eingeschränkten Lebensverhältnissen, mit den Träumen vom besseren Leben ihren Hoffnungen. Und das auf sehr unspektakuläre, stille, leise Art und Weise mit viel Freiraum für eigene Assoziationen. Der bunte Papagei des Covers ist Sinnbild für Vision, der Tristesse des Alltags zu entfliehen – aber immer nur für kurze Zeit.

Graham Swift, Da sind wir. Roman, a. d. Engl. v. Susanne Höbel, dtv München 2020, 159 S., ISBN 978-3-423-28220-8

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