Jörg Zink, Ufergedanken

Jörg Zink, Ufergedanken

„Ich staune manchmal, wie viel Mühe selbst nachdenkliche Menschen dafür aufwenden, an ihr Ende nicht zu denken. Weiß man nicht seit Kindertagen, dass es irgendwann eintreten wird? Was für eine Torheit zu meinen, es lasse sich besser leben, wenn man dieses Ende verdrängt!
Was mich betrifft, so habe ich in meinen jungen Jahren mehr mit dem Tod zu tun gehabt, als für einen Zwanzigjährigen gut ist. Inzwischen ist er mir fast zu einem vertrauten Freund geworden. Niemals war er für mich das große Aus, der letzte Punkt, nie habe ich ihn anders gesehen als so, dass er der ist, der mir den Schritt in die andere, die größere Wirklichkeit eröffnet.“

Jörg Zink schreibt diese „Ufergedanken“ als bereits über Achtzigjähriger. Für ihn und seine Frau Heidi, mit der er zu dem Zeitpunkt seit siebenundfünfzig Jahren verheiratet und seit mehr als sechzig Jahren verbunden ist, sind Spaziergänge in der Umgebung ihres Ferienhauses in Aquitanien Anlass, sich noch einmal bewusst zu machen, was war, was ist und was noch kommen wird. Dabei wird ihm die Natur um ihn herum, mit ihrer Küstenlandschaft insgesamt, dem Meer, dem Sand, dem Wasser, den Bäumen, den Steinen im Besonderen zu Spiegelbildern seiner inneren Landschaft, wie das schon in seiner Kindheit und Jugend der Fall war.

„Alles ist nur Vordergrund! Dahinter ist alles Licht! Unsere ganze sichtbare Welt tut nur so, als sei die da! In Wirklichkeit fängt, was wichtig ist, erst dahinter an! Dorther werde ich wohl kommen. Dorthin werde ich eines Tages zurückfinden.“

Diese mystische Erfahrung in seiner Kindheit ist so prägend, dass sie ihn durch sein gesamtes Leben trägt. Sie ist das Fundament seiner Heiterkeit und Gelassenheit, die durchgängig spürbar ist, selbst wenn er von den (scheinbaren) Schattenseiten des Lebens oder vom Tod schreibt.

„Die mystische Welt meiner Kinderjahre ist inzwischen durch viele Wandlungen gegangen. Sie hat ihre zauberische Intimität nicht eingebüßt, aber sie ist eins geworden mit der großen Wirklichkeit. … Was mir dabei bewahrt worden ist, ist ein Urvertrauen in die kosmische Zugeneigtheit alles Lebendigen, wie Rilke es einmal in einem kleinen Vers sagt:“

„Ein jedes Ding ist überwacht
von einer flugbereiten Güte
wie jeder Stein und jede Blüte
und jedes kleine Kind bei Nacht.“ “

Dichter, Schriftsteller, aber auch Philosophen waren seine Begleiter in den Kriegsjahren als Pilot. Sie und die Gedanken an seine spätere Frau Heidi haben ihn in der Kriegshölle vor dem seelischen Untergang bewahrt. Und auch in dieser Hölle war für ihn die Nähe des Göttlichen spürbar und erlebbar, etwa als er den Absturz seiner Maschine über dem Meer überlebt hat, immer wieder aber auch im Kontakt mit anderen Menschen. Kleinere Text oder einzelne Verse sind in den „Ufergedanken“ eingefügt, wie auch einige Bilder von J.M. William Turner.

Nach dem Krieg hat Jörg Zink eine seiner Hauptaufgaben darin gesehen, die Welt der Bibel, d.h. für Jörg Zink eine in der realen Welt erfahrbare Welt Gottes, Menschen, vor allem Jugendlichen, nach dem Krieg zugänglich zu machen. Das hieß, eine Sprache zu finden, die ansprechend und wahrhaftig war. Nach der NS Zeit sicher kein einfaches Unterfangen:

Aber es kam wohl darauf an, die geläufigen Sätze zu waschen, die Buchstaben ins Wasser zu werfen, die Silben rein zu kratzen, die Wörter abzubürsten. Das ganze Gewört auf die Leine zu hängen, damit am Ende die alte Sprache und gerade nicht eine ungebrauchte neue das Alte und Gültige wieder sagen könne. Sie soll ja nicht Dichtung werden wollen, sondern Gebrauchssprache für Menschen, die als Fußgänger auf den Märkten unterwegs sind.“

Und was ist Sinn, Aufgabe im Alter, wenn man sich als „Wanderer über die Erde. Wanderer durch die Zeit. Wanderer, die in sich selbst fortgehen von einer Gestalt in die nächste“ versteht? Dann gilt es neben dem Mitwirken, wo mitwirken noch möglich ist, viele Formen des Lassens einzuüben:

„Unterlassen, was nicht getan sein muss. Hinter uns lassen, was nicht festzuhalten ist. Weglassen, was entbehrlich, auslassen, was nur die Mode des Tages ist. Loslassen, was unsere Hände beschäftigt. Verlassen, was auf die Dauer keinen Schutz bietet. Sich selbst verlassen, so dass wir finden können, was verlässlich ist. Auf die offene Zukunft vertrauen und auf sie hinwirken mit Geduld und Freundlichkeit. Zeigen, was mit einem langen Atem zu gewinnen ist an Wahrheit und Wirkung.“

Das ist Aufgabe, Lebensaufgabe bis zum Schluss, der in der Vorstellung Jörg Zinks ein Übergang in das göttliche Licht ist. Diese Glaubensgewissheit trägt ihn auch durch Schatten und Täler, da er um das Licht hinter allem weiß. So jemand ist sicher begnadet.

„Ufergedanken“ können zu Impulsen für das eigene Leben werden. Etwa wenn Zink über die sieben Dinge schreibt, die für ihn zu einer gelingenden Ehe beitragen können, obwohl oder gerade weil er davon ausgeht, dass „die wichtigen Dinge, die gelingen, … immer auch Gründe (haben), die außerhalb unseres Wahrnehmens liegen.“ Der wichtigste Aspekt ist für ihn:

„Es keinen Tag selbstverständlich finden, dass uns dieser Partner auf unserem Weg mitgegeben ist. Jeden Tag seine Nähe als gnadenhaftes Geschenk empfinden. Zum Geschenk aber stimmt eine lebenslange Dankbarkeit.“

Der eigene Glaube an einen Gott ist nicht Voraussetzung für diese Lektüre, aus der man sich das ein oder andere für sich herauspicken kann.

Jörg Zink, Ufergedanken, Neuausgabe des 2007 erstmals erschienenen Titels, Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 2017, 172 S., ISBN 978-3-597-08543-2

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