Pauline Delabroy-Allard, Es ist Sarah

Pauline Delabroy-Allard, Es ist Sarah

Wer den Roman aufmerksam liest, der ahnt schon zu Beginn, dass die Liebesgeschichte ein tragisches Ende nehmen wird.
„In jener feuchten Nacht gelingt es mir nicht, meinen Blick von ihrem nackten Körper zu lösen, von ihrem wächsernen Schädel. Von ihrer Totensilhouette.“

In zwei Kapiteln des nur 180 Seiten langen Romans erzählt die 1988 geborene Pauline Delabroy-Allard wie Sahara, eine in jeder Hinsicht zu „laute“ Violonistin, in das Leben der eher ruhigen, zurückhaltenden Ich-Erzählerin tritt, einer Grundschullehrerin mit vierjähriger Tochter, gerade geschieden und einem jungen Bulgaren als Partner.

„Es geht um Sarah, ihre unerhörte Schönheit, ihre steile Nase, die einem seltenen Vogel zu gehören scheint, die unglaubliche Farbe ihrer Augen, Felsgrau, Grün, nein nicht Grün, eher wie Absinth, wie Malachit, ein gedämpftes Grün-Grau, ihre Schlangenaugen mit den hängenden Lidern. Es geht um den Frühling, als sie in mein Leben trat wie auf eine Bühne, schwungvoll, eroberungslustig. Siegesgewiss.“

Und immer wieder wird von ihr gesagt: „Sie ist lebendig.“ Während die Ich-Erzählerin von sich eher den Eindruck hat: „Ich gebe mir Mühe, das Leben zu leben. Ich lebe nicht wirklich. Ich bin eine brave Schülerin. Ich sammle Fleißpunkte … Das Leben hätte noch lange so weitergehen können. Ein langer Tunnel ohne Überraschungen, ohne Geheimnisse.“ Gemeinsam ist beiden eigentlich nur, dass sie in Paris wohnen.

Doch dann entwickelt sich in atemberaubendem Tempo eine Liebesbeziehung zwischen den beiden, entsteht eine Leidenschaft, die letztendlich dann nur noch Leiden schafft. Es ist das „Wundervollste und das Schrecklichste“ zugleich.

„Sie hat mich ausgelaugt, aber ohne sie sterbe ich.“ Die Leidenschaft der beiden nimmt zunehmend toxische Züge an. Sarah dominiert und erinnert vielfach an ein „ungezogenes Kind“, das keine Grenzen kennt:

„Sie will, dass wir ins Kino gehen, sie will, dass wir uns lieben, sie will, dass wir anschließend in den Armen des anderen einschlafen, sie will, dass wir ein paar Tage lang aufhören uns zu schreiben und zu sprechen, sie will, dass wir japanisch essen gehen, sie will, dass wir übers Wochenende aufs Land fahren, um uns zu erholen, sie will, dass ich aufhöre zu weinen, sie will ohne mich auf eine Party gehen, sie will keine Verantwortung tragen, sie will leicht sein, sie will frei sein.“

Und die Ich-Erzählerin setzt ihr keine Grenzen und wird zunehmend unfähig, ihren ganz normalen Alltag zu bewältigen, meldet sich deswegen des öfteren in der Schule krank. Eine Trennung scheint notwendig. Doch da erkrankt Sarah an Brustkrebs.

Die eigentliche Krankheit und ihr Verlauf werden nicht erzählt. Der gesamte zweite Teil beschäftigt sich mit der unermesslichen, selbstzerstörerischen Trauer der Ich-Erzählerin, die ihr Kind bei den Eltern unterbringt, nach Italien flüchtet, sich vollkommen in sich zurückzieht und zum Teil derart redegriert, dass sie – einem Kleinkind nicht unähnlich – unfähig ist aufzustehen:

„Ich liege mit angezogenen Beinen im Bett, in der Mulde der Matratze und warte. Ich habe nicht mehr die Kraft aufzustehen, es ist vorbei. Die Stunden vergehen, ich sehe es am Licht, das vergeht und wiederkehrt. Eine Nacht. Ich mache ins Bett. Ich habe nicht mehr die Kraft, zur Toilette zu gehen. Ich liege mit geschlossenen Augen da, mit trockenem Mund, und dem Blutgeschmack auf den Lippen. Zwei Nächte. …. Drei Nächte, glaube ich. Am Ende wird es vielleicht Tag werden. Ich habe solchen Durst. Nichts tut mehr weh.“

Delabroy-Allard versteht es brilliant, die Ransanz der Liebesbeziehung, Sarahs Dominanz und die unendliche, nahezu realitätsentrückte, wirklichkeitsverdrängende Trauer der Ich-Erzählerin sprachlich adäquat zu spiegeln.

Leser, die einen „normale“ romantische Liebesgeschichte lesen wollen, sollten lieber zu einem anderen Buch greifen. Der Roman ist arm an äußerer Handlung. Im Grunde genommen geht es um dien Innensicht einer amor fou, wie sie aufregender erotischer, aber auch zerstörender kaum vorstellbar ist. Ich finde den Roman lesenswert, wenn man psychische Innenansichten und Einblicke, zum Teil poetisch dargestellt, mag.

Pauline Delabroy-Allard, Es ist Sarah, Roman, a.d. Franz. v. Sina de Malafosse, Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt/M. 2019, 180 S., ISBN 978-3-627-00266-4

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